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Das Königshaus der Monster

Titel: Das Königshaus der Monster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Barnes
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begrüßen, eifrig bestrebt, ihre Dienste anzubieten, lechzend danach, Teil von etwas zu werden, das größer, wunderbarer war als sie selbst. Und, Hand aufs Herz, wer könnte ihnen daraus einen Vorwurf machen?
     
    Zu unserem Entsetzen mussten wir mit ansehen, was sich hier abspielte: All die Menschen, die in fieberhafter Eile durch die Stadt gehetzt waren, drängten jetzt hinab zum Ufer; sie schlitterten in so verzückter, kopfloser Hast über das nasse Pflaster, dass die Gefahr bestand, sie würden schließlich im Wasser landen. Aber nein, sie machten gerade rechtzeitig Halt und fielen auf die Knie. Und dann hob jeder Einzelne von ihnen ehrfürchtig einen dieser herumliegenden Tentakel mit beiden Händen hoch und schob sich das Ende in unsagbarer Obszönität in den weit geöffneten Mund. In kindlicher Gier saugten sie daran, die Gesichter erfüllt von Glückseligkeit, bevor sie ekelerregend gesättigt auf den Rücken fielen. Kurz darauf krochen sie, vor sich hin schnatternd, sinnlose Wörter und endlose Ziffernreihen blökend, zurück in die Stadt. Einer dieser Unglücklichen tappte mit hoffnungslosen, leeren Augen an mir vorbei. Seine Lippen bewegten sich nur mehr im Dienste Leviathans, und ich dachte bei seinem Anblick an eine Termite, irgendein Insekt, das hilflos in seinem Sklavendasein gefangen ist. Ich versuchte ihn aufzuhalten, aber er schien es kaum zu bemerken. Er wühlte sich weiter durch die Menge voran und brabbelte ohne Unterlass in seiner unverständlichen Sprache.
    Jetzt gehörte die Stadt Leviathan; sie gehörte ganz und gar dieser Monstrosität, diesem unerbittlichen Feind des Lebens.
     
    Dies ist eine übel wollende, verleumderische Darstellung. Wir alle taten nur unsere Pflicht, erfüllten unsere Quoten und boten unseren Klienten jenen erstklassigen Service, den sie verdientermaßen erwarteten.
     
    Als wir das Ufer erreichten, vernahm ich zu meiner Rechten ein lautes Würgen. Der Prinz stand vornübergebeugt da, machtlos dem Brechreiz ausgeliefert, und gab sein Frühstück von sich.
    Ich kramte fieberhaft in meinen Taschen, um nachzusehen, ob ich dem bedauernswerten Mann nicht wenigstens mit einem Papiertaschentuch beistehen konnte, als jemand meinen Namen rief. Mit der Geschwindigkeit eines Revolverhelden fuhr ich herum.
    Joe Streater stand hinter mir. Und an seiner Seite war schwankend und keuchend – meine Zimmerwirtin.
    »Abbey?«
    Sie sah mich blicklos an. »Leviathan?«
    »Das ist Ihre Schuld«, sagte Streater.
    »Meine?«
    »Man hat mir versprochen, dass ich sie davor bewahren könnte. Aber in dem Moment, als sie in den Schnee trat … Das wäre nicht passiert, wenn ich sie früher gefunden hätte! Wenn Sie sie nicht vor mir versteckt hätten!«
    »Ich habe nur versucht, sie in Sicherheit zu bringen! Sie sind derjenige, der das arme Mädchen praktisch entführt hat!«
    Wir waren so sehr in unsere Auseinandersetzung vertieft (die vom künftigen König von England mit der Hintergrundmelodie pausenlosen Kotzens unterlegt wurde), dass wir nicht bemerkten, was Abbey unterdessen tat – dass wir sie nicht mit hungrigen, lüsternen Augen ans Wasser taumeln sahen. Es war Joe, der als Erster innehielt und an mir vorbei zum Fluss starrte.
    »Abbey?«, rief er, aber es war schon zu spät. Bevor einer von uns beiden sie davon abhalten konnte, kauerte sie sich hin, griff nach einem Tentakel, stopfte sich das Ende in den Mund und gurgelte glückselig.
    »Abbey!«, schrie ich. »Liebling, um Himmels willen!«
    Streater warf mir einen bösen Seitenblick zu. »Bitte, Schätzchen«, rief er ihr zu, »bitte, tu’s nicht!«
    Aber sie war schon fertig. Sie zog sich den Tentakel aus dem Mund und wandte uns das Gesicht zu.
    Die Verwandlung war total. Ihre Augen waren ausdruckslos, und sie redete viel zu rasch – unbeschreibliche formelhafte Wendungen, die kein Mensch je laut aussprechen sollte, schändliche Blasphemien, bei deren Klang sich in meinem Hirn irgendein Atavismus regte und in instinktivem Abscheu zurückzuckte.
    Sie kannte uns nicht mehr und stolperte davon, um sich den anderen anzuschließen, verschwand triefend nass, plappernd und erfasst von einer unerklärlichen Zielstrebigkeit, zusammen mit ihnen in der Stadt.
     
    Das Mädchen hätte Dankbarkeit empfinden sollen. Schließlich konnte sie nun doch etwas Besseres mit ihrem Leben anfangen, etwas Höheres, Nützliches.
     
    Ohne einen weiteren Gedanken zu verschwenden, stürzte ich mich auf Joe Streater. Überrascht von meinem unerwartet

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