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Das Königshaus der Monster

Titel: Das Königshaus der Monster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Barnes
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sich der Prinz auf dem Absatz um und stapfte zurück zu seinem Apartment.
    Nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, ließ er für eine Minute die Maske fallen. Er warf sich auf sein Bett und stieß ein gequältes Stöhnen aus – den hoffnungslosen Schrei eines in der Falle gefangenen, sterbenden Tieres. Doch gleich darauf fasste er sich wieder, holte tief Atem, griff nach dem Telefon und wartete darauf dass sein letzter wahrer Freund sich meldete.
    »Ja?«
    »Mister Streater! Ich bin so froh, dass Sie schon wach sind!«
    »Bin gerade aufgestanden. Was kann ich für Sie tun?«
    »Bitte kommen Sie in mein Apartment. Ich brauche Sie.«
    »Klar. Ziehe mich nur an. Bin gleich da.«
    »Und, Mister Streater?«
    »Na?«
    »Bringen Sie mir Ampersand mit.«
    Über die Telefonleitung konnte der Prinz beinahe Mister Streaters Lächeln hören.

ACHTZEHN
     
    Um neun Uhr früh versammelten sich die letzten Getreuen des Direktoriums am London Eye zu einer Konferenz.
    Als sich die Tür der Gondel öffnete und Miss Morning und ich einstiegen, wartete Jasper bereits auf uns. Er trug diese arrogante, selbstzufriedene Miene eines Mannes zur Schau, der gerade seinen geheimsten Lebenstraum von jemandem genehmigt bekam, der ihn tatsächlich erfüllen konnte. Dieser Ausdruck gefiel mir nicht, wie Sie sich vorstellen können. Er gefiel mir gar nicht.
    Dedlock wirbelte in seinem Tank herum und platschte lautstark durch die Flüssigkeit. »Henry Lamb! Miss Morning!«
    »Sie wirken so fröhlich«, stellte die alte Dame fest – verständlicherweise reichlich misstrauisch.
    »Mister Jasper hat gute Nachrichten für uns.«
    »Sie haben die Präfekten!«, rief ich.
    »Meine Männer müssen sie erst aufspüren«, sagte Dedlock. »Aber Jasper … Jasper könnte uns die Möglichkeit dazu eröffnet haben.«
    Miss Morning trat mit streitbarer Miene vor Mister Jasper hin – ein runzeliger Doc Holliday am OK Corral. »Was genau«, schnaubte sie, »schlagen Sie vor?«
    »Das Blaupausen-Programm«, sagte er, einen triumphierenden Unterton in der Stimme.
    Wie üblich lag es an mir, die unumgängliche Frage zu stellen: »Und was ist das Blaupausen-Programm?«
    »Um die Präfekten zur Strecke zu bringen«, erklärte Jasper, »brauchen wir jemanden mit Jagdinstinkt. Jemand Skrupellosen. Jemand Hartnäckigen, Verlässlichen. Jemand mit einem Talent dafür, sich die Hände schmutzig zu machen.«
    Dedlock mischte sich ein: »1967 mag das Direktorium Estella zwar verloren haben, aber wir ließen nicht zu, dass sie ihr Opfer bringen würde, ohne uns eine Erinnerung zu hinterlassen.«
    »Eine Erinnerung?« Miss Mornings verhutzeltes Gesicht verzerrte sich plötzlich höchst aufgebracht. »Was habt ihr mit ihr gemacht?«
    Das Folgende sagte Dedlock leichthin, im Plauderton, so als unterhalte er sich über Fußball oder das Wetter oder zeige einem Fremden den Weg. »Wir fertigten eine Kopie ihrer ätherischen Signatur an.«
    »Ihrer – was?«, fragte ich.
    »Ihrer Quintessenz, Mister Lamb. Ihres geistig-seelischen Fingerabdrucks.«
    Wutentbrannt fauchte Miss Morning: »Und wozu das?«
    »Nun, damit wir bei Bedarf ihre Fähigkeiten kopieren können. Damit wir in der Lage sind, die Höchstleistungen ihres Geistes in jemand Neuem zu reproduzieren. Und nun haben wir endlich einen Weg gefunden, der gangbar ist.«
    »Aber wir suchen doch nach Estella selbst!«, warf ich ein. »Ausschließlich darum dreht sich doch alles hier, oder etwa nicht?«
    »Wir brauchen ihre physische Gestalt, ja«, bestätigte Dedlock. »Wir brauchen die echte Estella. Aber das ist jetzt etwas völlig anderes. Ich nehme an, Sie kennen die Wendung ›den Bock zum Gärtner machen‹?« Jasper wühlte in seiner Jackentasche. Er holte eine silberne Pille hervor und hob sie hoch wie ein Priester die heilige Hostie, damit wir alle sie betrachten konnten. »In dieser Pille«, sagte er, »befindet sich die Quintessenz der besten Agentin, die das Direktorium je im praktischen Einsatz hatte. Eine geeignete Person muss sie nur schlucken, um die Verwandlung in eine zweite Estella in die Wege zu leiten.«
    »Wie erstaunlich«, murmelte Dedlock.
    »Wie perfide«, schlug Miss Morning zurück.
    »Würden Sie uns Ihre Einwände genauer erläutern?«, forderte Dedlock sie auf.
    »Der Großvater dieses jungen Mannes wäre entsetzt von dieser Niedertracht!«, rief sie. »Das ist unmoralisch und gegen jedes Gesetz! Es schändet die Erinnerung an eine Frau, die alles aufgab, was sie hatte, in der Hoffnung,

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