Das Königsmal
Verluste durch Rekrutierung zu ersetzen. Und er wartete auf Nachrichten von Bethlen Gabor. Der Fürst von Siebenbürgen sollte ihn mit seinen Truppen unterstützen. Gegen jeden Ratschlag Christians, der ihn zurückbeordern wollte, hielt er starrsinnig an seinem Ziel fest und plante, längs der Oderlinie nach Schlesien vorzustoßen, sobald sein Heer wieder mit frischem Blut verstärkt sein würde.
Christian stand allein. Allein mit Tausenden von Soldaten, die ihm noch immer vertrauten und von dem Wunsch beseelt waren, Tilly und Wallenstein das Fürchten zu lehren und in ihre katholische Hölle zu jagen. Doch gegen die beiden feindlichen Heere würde er nicht bestehen können, das wusste auch das Kriegskabinett. Wieder hieß es warten. Auf eine günstige Stunde. Auf Gott, dachte Christian. Ein Sonnenstrahl fiel auf das bleiche Antlitz Christi in seinen Händen. Der Morgentau hatte den Saum seines Nachthemdes benetzt, seine Füße waren nass und kalt. Er musste sich ankleiden, bevor das Personal seinen König in diesem Aufzug zwischen den Hecken entdeckte.
Verschlafen rieb sich Wiebke die Augen. Die Nacht war kurz gewesen. Die Gräfin war erst spät zu Bett gegangen, und als auch sie unter ihre Decke schlüpfen konnte, hatte Kirsten Munk schon wieder nach ihr gerufen.
„Bring mir ein seidenes Hemd, Wiebke, heute Nacht ist es zu warm für Leinen.“
Sie ließ das Hemd an ihrem Körper hinabgleiten und wusch sich mit kaltem Wasser. Ihr Körper war in den letzten Monaten noch fraulicher geworden, und die letzten Spuren des Bauernmädchens waren verschwunden. Gedankenverloren strich sie sich über Brust und Bauch und beobachtete lächelnd, wie sich die Spitzen ihrer Brüste verhärteten. Wie zwei Kirschen auf einer kleinen Schale voll süßem Rahm, dachte sie belustigt.
Auf einem Stuhl neben ihrem Bett lagen ihre Kleider: Hemd, Rock und Leibchen, das sie sich mit einer Kordel schnürte. Darüber ein weißes Halstuch aus Leinen, das mit Bändern um die Taille festgebunden und dann seitlich unter die Träger des Leibchens gesteckt wurde. Wie Johanna auch trug sie die Kleider der Gräfin auf, die den älteren Töchtern nicht passten und die nicht allzu kostbar waren. Die prächtigen gold- und silberdurchwirkten Stoffe dagegen kamen ins Feuer, damit das Metall einschmolz und noch einmal genutzt werden konnte. Dann ordnete sie ihre Haare und setzte die Haube auf.
Bevor sie ihre Kammer verließ, um in der Gesindeküche eine Schale warmer Morgensuppe zu trinken, öffnete sie die Fensterluke ihrer winzigen Mansarde. Sie konnte von oben auf den Park blicken. Zwischen den hohen Buchenhecken hinter den Stallungen entdeckte sie den König. Sie hatte ihn dort schon einige Male zu dieser frühen Stunde spazieren sehen, ein Schatten, ängstlich darauf bedacht, vorsichtig zurück ins Schloss zu huschen, bevor ihn neugierige Augen in seiner wenig majestätischen Garderobe erblickten.
Wiebke verspürte einen seltsamen Stich tief in ihrem Inneren, Freude und Trauer über die einsame Gestalt durchfluteten sie gleichermaßen. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass ihr Herz aufgeregt flatterte wie ein Schmetterling, der den Schatten eines gefiederten Angreifers über sich spürte und sich nicht zu retten wusste.
Sie griff in ihr Mieder und zog ihren Schatz heraus: ein kleiner goldener Anhänger in Form eines Kreuzes, das von einer Frauenfigur gehalten wurde. Christian hatte ihr den kostbaren Schmuck noch in Hameln geschenkt.
„Ich danke dir“, hatte er geflüstert.
Weitere Worte waren zwischen ihnen nicht nötig gewesen. Nach dem schrecklichen Unfall umfing sie ein besonderes Band, als ob Christian ihre sorgende Anwesenheit an seinem Bett gespürt hatte. „Ich bekam das Kreuz von meiner Großmutter, zu meiner Krönung. Die Figur symbolisiert den Glauben, mein Vertrauen zu Gott. Jetzt soll es dein Schutz sein“ lauschte sie dem Echo seiner Worte.
Wiebke hatte den Anhänger auf eine lange Kette gefädelt und trug ihn versteckt unter ihrem Leibchen. Auf keinen Fall wollte sie die Neugier der Gräfin wecken, deren misstrauische Blicke sie immer öfter auf sich gerichtet spürte. Sie bemühte sich nach Kräften, der Herrin alles recht zu machen, und umsorgte sie aufmerksam und mit großzügiger Geduld. Nach dem Unfall des Königs und seiner wundersamen Rückkehr ins Reich der Lebenden hatte sich ihr Verhältnis wieder gebessert. Gräfin Munk wusste, was sie ihrer Zofe schuldig war. Doch oft wirkte ihre Herzlichkeit aufgesetzt, und Wiebke
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