Das Königsmal
furchtbarer und doch unwiderstehlicher Kraft.
Christian sah Hunderte Pikeniere fallen. Arme reckten sich ihm in einem letzten Todeskampf entgegen, Blut schoss aus aufgerissenen Leibern, Schreie hallten in seinen Ohren, bevor sie erstarben und nur der aufgerissene Mund des Toten noch von seinem qualvollen Höllenritt erzählte. Jeder einzelne eine stumme Anklage – gegen ihn, ihren König, der sie hierher geführt hatte. Doch es war kein bekanntes Gesicht darunter, noch nicht.
Die Kavallerie hielt sich dagegen gut – in der Mitte und an der linken Flanke kam der Feind nicht weiter voran. Der König und General Fuchs ritten kreuz und quer über das Feld, sammelten panisch Flüchtende ein, gruppierten die Männer neu und flickten die aufgerissenen Linien.
„Es wird, es wird“, brüllte Christian gegen das Getöse an und hoffte, dass seine Stimme die Soldaten erreichte. Dreimal hielten sie Tillys Angriff stand, und so ging der Kampf Stunde um Stunde hin und her, ohne dass eine Seite einen entscheidenden Vorteil für sich erringen konnte. Im nahen Dörfchen Lutter hatten sich die Men- schen in ihren Häusern verbarrikadiert und lauschten dem Schlachtenlärm, überzeugt, dass der Jüngste Tag nun gekommen wäre und der Engel des Todes vor ihrer Tür stünde.
Beim dritten Angriff trafen sie Christians Pferd. Er spürte einen dumpfen Schlag zwischen seinen Beinen, dann brach das Tier tot unter ihm zusammen. Entsetzt fand er sich auf dem Boden wieder. Klein und hilflos. Unbeweglich. Erstarrt in Todesangst. Wie ein Käfer, der auf den Rücken gefallen war und nicht mehr auf die Beine kam, sosehr er sich auch mühte. Seine Rüstung drückte ihn in das blutige Feld, er fühlte sich verloren.
Es ist das Schlimmste, was mir passieren konnte, dachte er und suchte nach Hilfe. Schlachten werden durch Bewegung, Beweglichkeit, durch den schnellen Angriff gewonnen. Panische Gedanken überschwemmten ihn. Er wusste, dass er in jedem Moment zu Tode getrampelt werden konnte, und brüllte mit aller Kraft in die undeutliche Masse aus Menschen- und Tierleibern.
„Ein Pferd, ich brauche ein Pferd!“
Matsch spritzte links und rechts von ihm auf, Männer stolperten über ihn hinweg, ohne zu erkennen, wer da lag.
„Gott, wo bist du?“, brüllte er noch einmal und zwang sich mit aller Kraft auf die Knie, um dem Tod wenigstens seine gepanzerte Brust entgegenzustrecken. Und dann kam ein Engel zu ihm. Ein Reiter löste sich aus der Frontlinie, ritt zurück und stieg ab. Stieg ab! Legte ihm die Zügel in die Hände und half ihm auf. Im Getöse des Kampfes konnte Christian nicht verstehen, was ihm dieser unbekannte Reiter sagte. Er sah, wie sich seine Lippen bewegten, sah leuchtende, fast beseelte Augen und verstand plötzlich: Er opfert sich auf. Für seinen König. Für mich.
Im nächsten Moment ergriff er die Zügel, das Geschenk des Lebens, und zog sich auf das Pferd. Ein Sporentritt in die Flanken, dann preschte er davon. Kein Blick zurück zu diesem Soldaten, der seinen Platz im Todesspiel eingenommen hatte. Aufrecht stand der Unbekannte da, bereit, sein Leben zu geben. Als sie ihn später im Mondlicht fanden, hatte ein Schwert ihn durchbohrt. Mit starren Augen schien er auf den König zu blicken – es waren die gebrochenen Augen des gemarterten Christus. Es war sein Albtraum, seine Vision, das Bild des Ecce homo.
Christian war optimistisch, als er eilig zur Reiterei zurückkehrte. Er dachte, die Linien könnten sich halten. Er hoffte, dass ein Sieg errungen werden würde und die Truppen sich damit im Triumph auf den Heimweg nach Dänemark machen könnten. Doch als er ins Tal kam, sah er neue Soldaten. Söldner, die ihm niemand gemeldet hatte. Unzählige Männer, die Tilly in Reserve gehalten hatte und die nun mit frischen Kräften auf die erschöpften Dänen einschlugen. Eine undurchdringliche Wand von Männern, die ihre Geschütze eroberten. Es war alles aus, und etwas in ihm verlor sich in dunkelster Dunkelheit. Dänemark zerfiel vor seinen Augen. Später sollte er sagen, dass das Reich selbst in Lutter verloren ging. Und dass in diesem Moment das schlimmste Leid seines Lebens begonnen hatte.
Ihnen blieb nur die Flucht. Er musste seinen Männern kein Zeichen geben, das Zeichen war nicht zu übersehen. Es war diese Masse Menschen, diese brüllende Horde, diese unzähligen stürmenden Körper – eine einzige zerstörerische Wucht. Die Dänen rissen ihre Pferde beinahe in einer einzigen Bewegung herum, und in einem seltsamen
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