Das Königsmal
Jesus-Figuren empfingen ihn mit kaltem Schweigen. Keine Liebe, kein Licht, das Gott ihm sandte.
Am Morgen war er erschöpft auf das Gut zurückgekehrt, zu denen, die zu ihm hielten. Zornig gegen sich selbst, gegen sein Versagen. Ich bin der nutzloseste Mensch auf dieser Erde, dachte er, und seine Schuld quälte ihn. Er wusste, wenn er diese Welt jetzt verlassen müsste, wäre er der erste dänische König, der das Reich kleiner hinterließ, als es ihm bei seiner Krönung übergeben worden war. Und schlimmer noch: Gustav Adolf schien das in Deutschland zu gelingen, was ihm nicht vergönnt war.
Der elende Schwede, er hat mir nicht helfen wollen, grollte Christian. Warum eint uns das Wasser der Ostsee nicht, fragte er sich. Warum trennt es uns? Vereint wären wir nicht zu schlagen. Eine Macht auf den Wassern der unglaublichen See. Aber nun? Sollte ihm der Schwedenkönig schließlich auch noch von Süden aus zusetzen? Noch mehr Entsetzlichkeiten, die er nicht ertragen könnte. Wie soll es weitergehen, fragte er sich. Wie soll dieses Leben nur weitergehen?
„Wir müssen zurück nach Kopenhagen“, hatte Buchwald gedrängt. „Der Reichsrat verlangt, seinen König zu sehen. Der Adel fürchtet um das Wohl des Reiches.“ Und die Spione von Tillmanns berichteten, dass unter den Adligen verschwörerische Pläne kursierten. Wollte man ihn stürzen? Einen anderen an seine Stelle setzen – einen glücklicheren Mann?
Christian wusste, dass er Stärke zeigen, Dänemarks Herrlichkeit wieder leuchten lassen, neue Pläne für seine glückliche Zukunft entwerfen musste. Doch dafür war Geld nötig. Viele Millionen Goldtaler, die er nicht mehr besaß. Sie waren auf den Schlachtfeldern des Krieges geblieben, versenkt in den Fluten seines deutschen Abenteuers.
„Majestät müssen sich neu bewaffnen“, riet ihm auch Buchwald, der treu an seiner Seite stand – ein Freund, in allen Zeiten. „Ihr müsst Kredite aufnehmen, die Steuern erhöhen, Sir. Das Land ist reich – immer noch. Der Adel hortet Gold, seine Äcker sind der Reichtum des Landes. Und die Kopenhagener Kaufmannschaft türmt in ihren Kellern Gold- und Silberbarren. Ihre Schiffe bringen täglich neue Kostbarkeiten aus der Ferne. Sie werden Euch Kredite geben.“
Und tatsächlich, was blieb ihm anderes? Er musste unbedingt Geld beschaffen, sich mit der Macht des Geldes bewaffnen und alle Zweifler Lügen strafen. Je schneller er handelte und Positionen besetzte, desto weniger Raum blieb seinen Feinden in der Regierung. Er musste vor den Reichsrat treten und sich dort verantworten. Seine Führungsstärke beweisen. Er war dazu verdammt, stark zu sein. Stark zu sein. Stark …
Christian wanderte durch das Gutshaus. Er wollte an einer Rede arbeiten, die er vor dem Reichsrat halten könnte: „Exzellenzen … verehrte Herren … wenn sich das Glück des Sieges nicht einstellt … ich schuf Qualen, wo ich mir Gelingen erhoffte … Wir wollen nicht im Unglück verweilen …“ Ideen zeichneten sich in seinen Gedanken ab, diffus noch, doch er würde sie bergen und mit Bedeutung beladen, königliche Worte finden.
In der Halle blieb er stehen und blickte durch die hohen Flügeltüren hinaus in den herbstlichen Garten. Goldenes Licht fiel gegen die Scheiben, und Mückenschwärme tanzten darin, Spiralen aus zuckenden Leibern, ein fesselndes Spektakel. Im Hintergrund blühten die letzten Rosen, rot und in ihrer Pracht vollkommen. Christian trat einige Schritte zurück, sodass er sich in den Scheiben spiegeln konnte. Staunend beobachtete er, wie die Rosenblüten mit seinem verzerrten Spiegelbild verschmolzen und wie Rubinknöpfe auf seiner Jacke leuchteten. Funkelnde Rubine …
Plötzlich hatte er das Bild des Rheingrafen vor sich, hier in die- ser Halle, mit der herrlichen Rubinnadel an seinem Mantel. Der feurige Stern. Ein Gedankenblitz nur, doch er erinnerte sich: Es war seine Nadel, sein Schmuck. Er hatte das Stück mit einigen anderen Kostbarkeiten vor vielen Jahren seiner Frau gegeben. Ein fürsorgliches Geschenk zu ihrer Sicherheit, sollte ihm etwas zustoßen.
Auf einmal schnürte ihm etwas die Kehle zu. Zäher Speichel, er musste schlucken. Alles fügte sich zu einer schrecklichen Gewissheit. Die vertraulichen Blicke, Kirstens Verhalten, ihre ihm entgegengebrachte Kälte, ja ihr Hass. Sein Magen zog sich zusammen. Übelkeit stieg in ihm auf, und er stöhnte laut.
„Majestät?“
Wiebke war unbemerkt in die Halle getreten. Er drehte sich zu ihr um. Sah sie an, seinen
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