Das Königsmal
scheuen Engel, das Echo seiner Liebe. Sie hielt einen Strauß Rosen im Arm und kam langsam auf ihn zu.
„Majestät fühlen sich schlecht?“
„Nein, nein“, murmelte er und hätte am liebsten die Arme ausgebreitet, um sie zu umfangen und ihren Zauber zu fühlen. Seit seiner Rückkehr nach Dalum wollte er nichts anderes, als sie zu berühren und an sich zu ziehen. Als ob meine Abwesenheit das Verlangen nach ihr erst geweckt hätte, dachte er. Und jetzt in diesem Moment, in dem er glaubte, zu ertrinken und jeden Halt zu verlieren, war das Gefühl so stark wie nie zuvor. „Wo ist die Gräfin?“, flüsterte er.
Sie hielt die Rosen so fest umklammert, dass sich die Dornen in ihre Handflächen eingegraben hatten und winzige Blutstropfen hervorquollen. Warum sah er sie auch nur so an, dass sich ihr ganzes Wesen auf ein einziges Gefühl verdichtete? Ihr Herz trommelte noch immer in der Brust, und das Blut rauschte durch ihre Adern.
Wiebke lief durch den Park und suchte nach Kirsten Munk. Sie wusste, dass die Gräfin am Nachmittag zu einem Spaziergang auf- gebrochen war. Allein, nur der Hund war ihr gefolgt. „Madame“, rief sie immer wieder, und ihre Stimme verlor sich in den Weiten der Gärten, wanderte durch Alleen, traf auf Wasserläufe und folgte geheimen Schleichwegen. „Madame …“
Keine Antwort. Sie hatte bereits überall gesucht, angefangen im Rosengarten, zwischen den Hecken, dann in den Gemüse- und Kräutergärten, auf der Obstwiese und auch bei den Fischteichen. Zuletzt hinter den Stallungen – nichts. Keins der Pferde fehlte, und die Gräfin konnte doch in ihren dünnen Salonschuhen nicht allzu weit gekommen sein. „Madame. Madame … “
Auf den abgeernteten Feldern, fast am Waldrand, nahm sie plötzlich eine Bewegung wahr. Wiebke lief darauf zu, und im Näherkommen meinte sie, zwei Gestalten zu erkennen. Silhouetten nur. Vorsichtig huschte sie noch näher heran. Eine Frau und ein Mann, tatsächlich. Kirsten Munk und ein ihr unbekanntes Gesicht – halb verdeckt durch die Gräfin.
Wiebke blieb stehen und beobachtete die Szene. Einige Fliederbüsche boten ihr Schutz und umgaben sie mit ihrem würzigen Grün. Eine Elster hüpfte durchs Gras, ihr schlanker Körper wippte auf und ab. Schwarz und weiß, schwarz und weiß.
Der Mann, jetzt sah sie ihn deutlicher, ein junger Bursche mit dunkler Kappe und Jacke, schien der Gräfin Blumen zu bringen. Ein prächtiger Strauß weißer Rosen, die sich strahlend vor dem dunklen Vorhang des Waldes abzeichneten. Er nahm einen Brief entgegen, dann verschwand der Bote mit einer knappen, angedeuteten Verbeugung im Wald. Kurze Zeit später hörte Wiebke das Schnauben eines Pferdes.
Die Gräfin blieb noch einige Zeit stehen, als hoffte sie, dass der Unbekannte zurückkäme. Doch sie blieb allein. Schließlich zuckte sie mit den Schultern, roch an den Rosen und drehte sich um. Wiebke musste einen Schrei unterdrücken. Noch nie hatte sie Kirstens Gesicht so glücklich gesehen. Ein seliges Lächeln umspielte ihre Lippen, und das Glück schien aus jeder Pore ihres Körpers zu dringen. Sie strahlte heiter, jede Bewegung wie ein Fest. Als ob ihr der Bote das größte Geschenk ihres Lebens gemacht hätte, dachte das Mädchen.
Die Nachricht, endlich. Sie roch an den Blüten und zerrieb einige Blätter zwischen den Fingern. Weiße Rosen, ihre Blütenblätter zu fünfeckigen Sternen angeordnet. Wie ein Pentagramm, dachte sie, wie das Geheimste aller Geheimnisse. Der Rheingraf hatte das vereinbarte Zeichen gesandt. Sub rosa dictum: ein verschwiegenes Sinnbild ihrer Leidenschaft und des Paradieses, das sie erwartete.
Die Gode Michel sollte im Hafen auf sie warten, bereit, die heimliche Fracht aufzunehmen und in See zu stechen. Durch das Kattegat, vorbei an Schären und Fjorden, rund um das Skagerrak aus der Mulde der Ostsee auf die Nordsee hinaus. Schnell, bevor die ersten Herbststürme die Fahrt durch das bucklige Katzenloch zu einem teuflischen Abenteuer machten.
Sie sah sich schon an Bord stehen, den salzigen Wind im Gesicht: Sie, Kirsten Munk, flüchtete sich ihrer Leidenschaft entgegen, eingehüllt in ihre Pelzdecke und vor Anspannung zitternd. Durch die Schwärme der Heringe, die jetzt im Herbst in seichtere Gewässer zogen. Riesige, flirrende Teppiche, gewirkt aus den silberfarbenen Halbmonden der Fischleiber. Erstaunliche Muster auf dem schwarzblauen Kleid der See.
Noch in dieser Nacht sollte sie das Gut verlassen, der Bote würde sie erwarten, hier vor dem
Weitere Kostenlose Bücher