Das kommt davon, wenn man verreist
vibrierender
Unterlippe. Sixten stieg ernüchtert von der Siebenfünfziger in den Korbsessel
um. Knirsch.
»Und wie war es sonst so?«
»Paul und Lonka lassen dich grüßen.«
»Danke.«
»Mit ‘nem Job hat sich noch nichts ergeben. So
schnell geht das auch nicht — war’ ja ein Wunder. Außerdem ist jetzt
Sauregurkenzeit.«
»Natürlich.«
»Und was war hier?«
»Nichts von Bedeutung. Der übliche Kleinkrieg im
Haus.«
Sie schwiegen eine Weile. Klatschten nach
Mücken. Hörten ab und zu ein Auto vorüberfahren und das müde Rascheln in den
Bäumen, wenn der Wind im Schlaf ausatmete.
»Mal was von Vera gehört?« fragte Rieke.
»Ach, Mensch, die...«
»Wieso?«
»Wenn du mich fragst — das ist ein ganz
verlogenes Luder. Du erinnerst dich doch, daß Max damals, wie der Unfall
passierte, erzählt hat, die Vera hätte ihm wegen eines Eichkätzchens ins Steuer
gegriffen und daß sie deshalb am Baum gelandet sind!?«
»Ja, das stimmt«, sagte Rieke.
»Und sie hat nicht widersprochen — oder?«
»Nein.«
»Aber jetzt streitet sie alles ab. Sie sagt, sie
hätte damals unter Schock gestanden und überhaupt nicht hingehört, was Max
gesagt hat. Max hat keine Zeugen — Aussage steht gegen Aussage — der Schaden an
der Karre beträgt zwei Mille, und er ist bloß haftpflichtversichert. Natürlich
glaubt ihr keiner, alle glauben Max. Da hat sich der Paul eingemischt und ist
zur Vera hin und hat es im Guten versucht. Er hat gesagt, sie soll wenigstens
die Hälfte des Schadens übernehmen, Max hat doch kein Geld. Sagte sie, sie
hätte auch keins, und außerdem könnte sie nichts dafür, wenn er gegen den Baum
knallt. Er soll froh sein, daß ihr nicht mehr passiert ist. Darauf ist der Paul
zu ihrem Vater, dem Hals-Nasen-Ohren-Otto, in die Praxis und hat ihm den Fall
vorgetragen. Und nun kommt’s. Der Vater stritt gar nicht ab, daß seine Tochter
ins Steuer gegriffen haben könnte. Er sagte bloß, das ginge ihn nichts an. Die
Vera sei volljährig und verdiene. Wenn sie eine Dummheit macht, soll sie auch
dafür geradestehen. Und dann kam die übliche Erwachsenenpredigt: >Es wird
langsam Zeit, daß ihr jungen Leute den Wert des Geldes schätzenlernt< und
>Denkzettel muß sein< und all so’nen Quark. Geld hat der Alte von der
Vera genug, aber Denkzettel muß sein und sei es auf Kosten vom unschuldigen
Max.«
Möglich, daß der Fall, von einem Juristen
vorgetragen, etwas anders geklungen hätte als von Sixten, der
zweihundertprozentig auf Max Mosers Seite stand, allein schon, weil er die Vera
nicht leiden konnte.
Rieke tat dieser Bericht unendlich wohl.
Ihretwegen konnte gar nicht genug auf Vera geschimpft werden. Immer rauf auf
Vera mit dem Schlimmen! Immer rauf. »Was sagt denn der Taschner dazu?«
»Wer?«
»Na — mein Rallyepartner.«
»Ach so — der. Den habe ich seither nicht mehr
gesehen.«
»Er war doch so verknallt in Vera!«
»Ja, das war er«, erinnerte sich Sixten.
»Sicher weiß er gar nicht, wie sie dem armen
Maxi mitgespielt hat. Sicher kennt er nur ihre Version von dem Unfall.«
»Schon möglich.«
»Sonst müßten ihm ja — bei aller Verknalltheit —
inzwischen die Augen aufgegangen sein — oder was meinst du?«
»Ja, kann sein.« Sixten interessierte das
überhaupt nicht. Leider.
Rieke stand auf.
»Wo willst du hin?« fragte er. »Wenn du in die
Küche gehst, bring noch ein Bier mit.«
»Ich geh’ schlafen.«
»Was? Jetzt schon? Es ist noch nicht mal elf!«
Sie nahm das Kissen aus ihrem Balkonstuhl —
falls es in der Nacht regnen sollte.
»Ich dachte, wir quatschen noch ‘n bißchen...«
»Ich bin müde«, sagte sie mit Nachdruck. »Gute
Nacht.«
Sixten hatte sich diesen ersten Abend mit Rieke
anders vorgestellt. Vielleicht war sie eingeschnappt, weil er einen Freitag
später nach Hause gekommen war, als er versprochen hatte. Aber das würde sich
spätestens im Laufe des morgigen Tages gelegt haben. Selbst wenn Rieke eine
Verstimmung auf längere Zeit plante, so war sie meistens die erste, die sie
wieder vergaß.
6
Und so nahmen sie ihren gemeinsamen Alltag
wieder auf. Sixten tapezierte bei Frau von Arnim das Wohnzimmer, vertrat
kurzfristig einen Vertreter für Teppichreinigungsschaum, fotografierte eine
Hochzeit, übernahm eine Grabpflege — und ging weiter stempeln.
Rieke fuhr jeden Morgen, von drei Weckern durch
den Schlaf geschossen, nach Charlottenburg in Papkes Werkstatt und kam vor
sechs Uhr abends nicht zurück. Und Plumpsack ging seinen
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