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Das Kopernikus-Syndrom

Das Kopernikus-Syndrom

Titel: Das Kopernikus-Syndrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Loevenbruck
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Ich zögerte. Wie sollte ich es ihr sagen? Wie sollte ich es ihr erklären? Der Piepton dröhnte in meinem Ohr. Ich legte die Hand vor den Mund und hoffte, dass die anderen Fahrgäste mich nicht hören konnten, und versuchte mich kurz zu fassen.
    »Agnès, ich bin's … Es geht mir gut … Aber es war eine Falle. Der Anwalt gehört zu ihnen … Ich musste fliehen. Ich weiß nicht genau, was ich machen soll. Ich warte auf deine Nachricht. Aber ich muss mein Handy ausschalten … Schreib mir eine SMS, ich schau regelmäßig nach … Alles Liebe.«

59.
    Einen großen Teil des Nachmittags irrte ich durchs Quartier Latin, immer noch entsetzt von der Wendung der Ereignisse. Ich konnte es nicht glauben, dass der Anwalt mich verraten hatte. Und vor allem begriff ich nicht, weshalb er sich so verhalten hatte. Warum hatte er mich nicht sofort den Kerlen in den grauen Trainingsanzügen ausgeliefert? Wozu diese Maskerade? Hatte er gehofft, mir Informationen zu entlocken, bevor sie sich auf mich stürzten? Das war die einleuchtendste Erklärung. Ich war auch wütend auf mich, weil ich ihm auf den Leim gegangen war. Und vor allem überlegte ich, wie es weitergehen sollte. Im Augenblick konnte ich unmöglich zu Agnès zurückkehren. Ich war auf mich selbst gestellt, und das erfüllte mich mit großer Angst.
    Am Spätnachmittag, als ich in Richtung Odéon unterwegs war, spürte ich unvermittelt die Symptome eines epileptischen Anfalls. Die Migräne, das Summen, der Verlust des Gleichgewichts, die Sehstörungen … Bald wusste ich es, die Stimmen würden mich überwältigen, die Gedanken all dieser Menschen um mich her. Nein! Ich wollte sie nicht mehr hören, nicht mehr spüren. Ich ertrug diese machtlose Unterwerfung unter mein krankes Hirn nicht mehr! Es musste eine Möglichkeit geben, zu widerstehen, mich zu wehren.
    Schwankend stürzte ich zu einer Bank und ließ mich schwerfällig fallen. Vornübergebeugt vergrub ich den Kopf in den Händen und versuchte ins Leere zu starren, die Außenwelt auszuschließen, die Geräusche, die Gerüche und die Farben. Doch die murmelnden Stimmen kamen langsam, durchdringend, umherwirbelnd wie ein verwehter Gassenhauer. Weil ich mich erinnerte, dass es bei Agnès funktioniert hatte, konzentrierte ich mich erneut auf den geheimnisvollen Satz aus dem SEAM-Turm: » Transkranielle Augen …« Ich wiederholte diese unsinnigen Worte eines nach dem anderen wie eine Zauberformel. Und allmählich ließ der Schmerz in meiner Stirn nach, das Gemurmel verflüchtigte sich. Nach und nach verstummten die Stimmen. Ich öffnete die Augen. Die Welt war wieder klar, einzig und fließend in ihrer beruhigenden Normalität. Ich hatte den Anfall besiegt.
    Ich richtete mich auf und fand meine Ruhe wieder. Oder zumindest etwas Ähnliches.
    Aber was sollte ich jetzt tun? Wohin sollte ich gehen? Ich war zum Ausgangspunkt zurückgekehrt, ich war mit meiner Einsamkeit konfrontiert und mit meinem eigenen Erkenntnisvermögen, das, wie ich zugeben musste, immer noch sehr schwach war.
    Einen Moment lang dachte ich an die Akte des Anwalts in meinem Rucksack. Ich brannte darauf zu erfahren, was sie enthielt, aber die Straße schien nicht gerade der geeignete Ort, sie zu lesen. Viel zu gefährlich. Sie musste warten. Ich musste unbedingt ein Hotelzimmer suchen. Dort konnte ich mich in aller Ruhe der Akte widmen.
    Während ich weiter mit gesenktem Kopf durch das Studentenviertel lief, versuchte ich, ganz methodisch eine Bilanz meiner Entdeckungen zu ziehen. Im Grunde genommen hatte sich meine Nachforschung als nützlich erwiesen. Ich fing an, etwas klarer zu sehen, ich besaß sogar einige Gewissheiten. Doch es blieben immer noch viele Fragen offen, und ich musste mit oder ohne Agnès vorankommen. Ich fragte mich, wo sie wohl im Augenblick sein mochte, und beschloss, einen Blick auf mein Handy zu werfen. Tatsächlich, sie hatte mir eine SMS geschrieben.
    Ich lehnte mich gegen eine Mauer und las ihre Nachricht.
    » Vigo, habe deine Nachricht erhalten. Bin beruhigt, aber pass auf dich auf. Was mich betrifft … kann ich dir nicht per SMS sagen. Ich hinterlasse dir eine Mail in unserem Posteingang im Forum. Sei vorsichtig.«
    Mein Herz schlug schneller. Was meinte sie damit? »Kann ich dir nicht per SMS sagen.« Was wollte sie mir mitteilen? Ihre Vorsicht … Das war bestimmt kein gutes Zeichen. Angst packte mich unwillkürlich, und ich machte mich auf das Schlimmste gefasst.
    Ungeduldig und beunruhigt hielt ich nach einem

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