Das kostbare Opfer
halb elf, erhielt ich einen weiteren Anruf. Die Stimme war nicht zu
erkennen; es hörte sich an, als verstelle sie jemand absichtlich. Ich wußte
nicht einmal, ob es eine männliche oder eine weibliche Stimme war.«
»Was wollte die Stimme?«
»Was sie sagte, war kurz und
sehr deutlich«, antwortete sie. »Sie sagte, Laurence sei bei einer anderen
Frau, und wenn ich Beweise wünschte, um die Scheidung einzureichen, sei dies
die Gelegenheit. Mein Mann sei mit Eve Farnham in deren Wohnung, fuhr die
Stimme fort und gab mir die Adresse. Wenn ich sofort hinführe, würde ich beide
in flagranti erwischen.«
Ich zündete zwei Zigaretten an
und gab Natalie eine davon.
»Danke, Al.« Sie zog den Rauch
tief ein. »Du erinnerst dich doch, daß ich gestern abend sagte, ich würde mich
bei der ersten passenden Gelegenheit von Laurence scheiden lassen. Dieser Anruf
kam mir wie ein Wink des Schicksals vor.« Sie lachte rauh. »Ich glaube, das Schicksal
war am Werk, nur auf andere Weise, als ich mir es vorgestellt hatte. Ich eilte
aus dem Haus, setzte mich in meinen Wagen und fuhr hin. Laurence hatte sich vor
kurzem einen neuen Wagen gekauft, und der war das erste, was ich vor dem Haus
sah; ich wußte also, daß die Stimme am Telefon nicht gelogen hatte.
Ich ging hinauf und drückte auf
die Klingel. Eve Farnham öffnete. Sie hatte einen Morgenrock an, und ich
glaube, als ich sie so sah, wurde ich richtig verrückt. Ich schob sie aus dem
Weg und ging in die Wohnung. Die Tür zum Schlafzimmer stand offen, und ich ging
ohne Zögern hinein. Laurence wurde ganz grün im Gesicht, als er mich sah. Er
machte einen lächerlichen Eindruck, und das sagte ich ihm auch. Dann fing er an
zu fluchen, nannte mich eine Schlüssellochguckerin und belegte mich mit noch
schlimmeren Ausdrücken. Dann bekam ich einen Schlag auf den Hinterkopf und muß
die Besinnung verloren haben.«
»Du weißt nicht, wer dir den
Schlag versetzt hat?«
Natalie schüttelte den Kopf.
»Ich glaube, es muß Eve Farnham gewesen sein. Als ich zu mir kam, stand sie,
einen Regenschirm in der Hand, über mir. Sie sagte, die Polizei wäre schon
unterwegs und falls ich mich nicht ruhig verhielte, würde sie mich mit dem
Regenschirm niederschlagen. Ich war zu benommen, um zu wissen, wovon sie
eigentlich redete; ich wußte einfach nicht, was geschah.
Dann kam die Polizei, und sie
sagte ihnen, daß ich in die Wohnung geplatzt und direkt ins Schlafzimmer
eingedrungen sei. Ich hätte eine Pistole aus der Tasche geholt und Laurence erschossen.
Erst dachte ich, sie ist verrückt, doch dann merkte ich, daß die Polizeibeamten
ihr glaubten.«
»Dieser Hammond! Erzähl ihm,
die Welt ist eine Scheibe, und er wird nie wieder nach Mexiko runterfahren, aus
Angst, er könnte über den Rand fallen.«
Natalie versuchte zu lächeln,
schaffte es aber nicht ganz. »Ich dachte, das Ganze sei irgendein verrückter
Witz, aber dann zeigten sie mir die Leiche auf dem Fußboden. Als mir klar
wurde, daß er wirklich ermordet worden war und sie alle es mir in die Schuhe zu
schieben versuchten, da wurde ich hysterisch.«
Sie warf mir einen
verzweifelten Blick zu. »Es muß Eve Farnham gewesen sein, Al! Sie muß ihn
getötet haben. Ich war es nicht. Ich schwöre es dir!«
»Natürlich«, sagte ich. »Ich
glaube dir ja.«
»Das frage ich mich«, sagte sie
bitter.
Darauf fiel mir keine passende
Antwort ein, und ich schwieg.
»Mord«, sagte sie mit leiser
Stimme. »Dafür kann man in die Gaskammer kommen, nicht wahr?«
»Du bist von der Gaskammer weit
entfernt«, sagte ich überzeugender, als mir zumute war. »Der Staatsanwalt muß
die Anklage erst vorbereiten. Du mußt vor Gericht gestellt werden, und ein
Prozeß muß stattfinden. Das alles nimmt eine Menge Zeit in Anspruch. Die
einzige unangenehme Sache für dich im Augenblick ist lediglich, daß du eine
Weile hierbleiben mußt. Aber man gewöhnt sich daran, und es ist eigentlich gar
nicht so schlimm. Man hat eine Menge Privilegien, während man sich in
Untersuchungshaft befindet.«
»Prächtig!« sagte sie ironisch.
»Du willst wohl damit sagen, daß ich sogar noch eine zweite Decke bekomme, wenn
ich eine haben möchte?«
»Du darfst die Dinge jetzt
nicht so tragisch nehmen«, sagte ich ihr. »Je früher wir den wirklichen Mörder
finden, um so früher kommst du hier heraus.«
»Aber niemand wird mir glauben,
Al!«
»Ich vielleicht«, sagte ich.
»Kommen wir noch einmal auf die Stimme am Telefon zurück. Du konntest sie nicht
erkennen?«
Sie
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