Das kostbare Opfer
alles?«
»Vorläufig, ja.«
Ich ging wieder hinaus und
zündete mir eine Zigarette an. Fünf Minuten darauf erhielt ich einen Anruf von
Jerry Schultz. »Ich habe Mrs. Cole heute morgen besucht, Al, wie ich
versprochen hatte«, sagte er. »Ich glaube, du kannst recht haben — sie ist
unschuldig. Mit der Zeit bekommt man eine Art sechsten Sinn für so was.«
»Das ist ja ausgezeichnet«,
sagte ich.
»Das möchte ich bezweifeln«,
sagte er nüchtern. »Vorläufig sind wir erst zwei, die so denken. Angesichts der
Beweise, die sie haben, bin ich geneigt, ihr vorzuschlagen, sich schuldig zu
bekennen und sich auf das ungeschriebene Gesetz zu berufen.«
»Du wirst dir was Besseres als
das einfallen lassen müssen, Jerry«, sagte ich.
»Du mußt den wirklichen Mörder
finden«, sagte er ernst. »Wenn sie einmal auf der Anklagebank sitzt, dann ist
nur noch ein kurzer Weg bis zu einer anderen Sitzgelegenheit. Der Staatsanwalt
wird sich in diesem Fall nicht einmal besonders anzustrengen brauchen.«
»Du hättest Totengräber werden
sollen«, fauchte ich und legte auf.
Ich brauchte frische Luft. Ein
Spaziergang würde mir gut tun. Ich verließ das Büro und ging etwa zwei
Häuserblocks weit, ohne eine Besserung zu verspüren. Laurence Coles Büro, fiel
mir ein, lag nur noch vier Querstraßen weiter, und ich fragte mich, wie das
Geschäft ohne die führende Hand des verstorbenen Chefs florierte.
Als ich hinkam, stand die Tür
offen, und ich ging hinein. Die Büros schienen verlassen zu sein. Ich rief:
»Ist jemand da?« und wartete auf ein brillantes Echo, wie zum Beispiel: »Nur
wir Termiten.« Statt dessen vernahm ich eine Stimme, die rief: »Hier herein!«
Ich stieß die Tür zu Coles
Privatbüro auf und entdeckte Joe Williams, der hinter dem Schreibtisch saß.
»Kommen Sie herein, Leutnant«, sagte er. »Es ist erfreulich, überhaupt jemanden
zu sehen.«
Ich ging hinein und schob die
Tür hinter mir zu. Er rückte den Stoß Papiere vor sich auf die Seite, dann ließ
er sich in den Sessel zurückfallen und seufzte. »Was für ein Tag!«
»Ganz meine Meinung«,
pflichtete ich bei. »Sie sehen aus, als seien Sie schwer beschäftigt.«
»Sagen Sie das noch mal!« Er
fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Cole wird gestern nacht ermordet und seine
Frau dafür eingesperrt. Dann landet heute nachmittag auch noch Edna Bright im
Gefängnis!« Er schüttelte den Kopf. »Das kommt alles ein bißchen zu rasch für
mich, Leutnant. Ich habe heute morgen Mrs. Cole besucht, und sie sagte, ich
sollte das Büro weiterführen, bis alles geklärt ist. Ich habe versucht, Ordnung
in dieses Durcheinander zu bringen, aber bis jetzt hatte ich kein Glück damit.«
»Was Ihnen fehlt, ist ein Glas
Whisky«, sagte ich.
Sein Gesicht hellte sich auf.
»Sie sind ein Genie! Daß ich nicht selber daraufgekommen bin! Gehen wir!«
Auf dem Weg verschloß Williams
die äußere Tür, und dann schlugen wir die Richtung zur nächsten Bar ein, die
keine hundert Meter entfernt lag. Wir legten die Strecke in Rekordzeit zurück.
»Auf ein angenehmes, ruhiges
Leben«, sagte er, als schließlich unsere Gläser vor uns standen.
»Ja«, sagte ich.
Er reduzierte den Glasinhalt
auf ein Drittel und stieß dann einen tiefen Seufzer aus. »Das war genau, was
mir gefehlt hat«, sagte er.
»Ich habe seit gestern abend
erst mal wieder Lachen können, und zwar wegen Edna, dem Wundermädchen, das sich
als Erpresserin entpuppte. Ich wünschte nur, der arme alte Laurence könnte das
noch miterleben!«
»Man weiß eben nie, woran man
mit den Leuten ist — um mit den Marsbewohnern zu sprechen«, sagte ich.
»Man kriegt es direkt mit der
Angst zu tun«, sagte Williams ernst. »Und man fragt sich, wie jeder aussehen
würde, wenn man sein Innerstes nach außen kehrte.«
»Wir haben schon so genug
Kummer, wir brauchen nicht noch extra danach zu suchen«, sagte ich. »Sie haben
heute morgen Mrs. Cole besucht, sagten Sie?«
»Ja, unmittelbar nach ihrem
Anwalt. Sie hat übrigens den besten. Ein Bursche namens Schultz. Kennen Sie
ihn, Leutnant?«
»Ich habe schon von ihm
gehört«, gab ich zu. »Was machte Mrs. Cole für einen Eindruck?«
»Sie schien okay zu sein«,
sagte er lässig. »Für jemanden, der unter dringendem Mordverdacht steht, fand
ich, benahm sie sich ausgesprochen unbekümmert. Was mich betrifft, ich hoffe,
daß sie davonkommt. Dieser Cole war nichts anderes als eine miese Laus.«
»Weshalb sagen Sie das?«
»Er war immer hinter anderen
Frauen her
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