Das Krähenweib
Triumphgefühl machte sich in ihm breit. Hab ich dich, mein Täubchen, ging es ihm durch den Sinn. Wenn du wiederkommst, werde ich auf dich warten.
Ein Schrei hinter ihm ließ ihn plötzlich zusammenzucken. Er wirbelte herum, sah aber keine Frau, sondern nur eine Katze. Sie starrte ihn an, sträubte ihr Fell und wich fauchend zurück.
Mertens griff nach dem Messer in seinem Stiefel und schleuderte es nach ihr. Die Katze kreischte erneut auf, doch bevor die Klinge sie erreichen konnte, huschte sie davon.
»Mistvieh«, brummte Mertens, holte sein Messer zurück und begab sich wieder in die Küche. Noch immer war nichts von Annalena zu sehen.
Wenn sie zurückkehrte und sein Pferd sah, würde sie sicher Lunte riechen und verschwinden. Es war also besser, wenn er sich in der Nähe versteckte und wartete, bis sie zurückkehrte.
Und dann würde er sie büßen lassen!
Mit rasendem Herzen blickte Annalena zum Haus hinüber. Das Gebüsch, in dem sie sich verborgen hatte, war dornig und zerkratzte ihre Arme. Dünne Blutfäden rannen über ihre Haut, doch sie achtete nicht darauf.
Als sie den Hufschlag gehört hatte, glaubte sie an einen verirrten Reisenden und freute sich sogar auf die Gesellschaft, nachdem sie wochenlang allein war. Sie hielt es eigentlich für unnötig, zunächst außer Sicht zu bleiben, doch sie wollte nichts riskieren. Diese Vorsicht hatte ihr das Leben gerettet.
Mertens war hier!
Diese Erkenntnis hatte sie erst gelähmt und dann ins Gebüsch getrieben. Jetzt überwältigte sie die Panik beinahe und sie musste sich die Hand auf den Mund pressen, damit sie nicht aufschrie. Sie wünschte sich verzweifelt, unsichtbar zu werden.
Wie hatte er sie aufgespürt? Es konnte doch nur mit dem Teufel zugehen, dass er diesen friedlichen Flecken gefunden hatte.
Mertens verschwand im Haus, und nun raste nur noch ein Gedanke durch ihren Kopf. Fort, nur fort von hier!
Sie kroch durchs Gestrüpp und schreckte ein paar Vögel auf. Wieder musste sie zwanghaft einen Schrei unterdrücken und erstarrte. Doch im Haus rührte sich nichts. Auf der Wiese angekommen, rannte sie los.
Das hohe Gras peitschte ihren Leib und in ihrer Panik glaubte sie, Hufschlag hinter sich zu hören. Doch dann stellte sie fest, dass es nur das Schlagen ihres eigenen Herzens war. Trotzdem rannte sie wie von Sinnen weiter. Hier gab es keine Sicherheit mehr für sie. Es würde nie Sicherheit für sie geben, wenn sie sich nicht weit genug von Mertens entfernte.
Nachdem sie eine ganze Weile durch den Wald gehetzt war, verbarg sie sich hinter einer riesigen Eiche und blickte den Weg zurück, den sie genommen hatte. Von Mertens war nichts zu sehen, doch das war kein Grund zur Erleichterung. Sie wollte schnell weiter, doch die Angst ließ ihre Gliedmaßen so sehr zittern, dass sie ihre ganze verbliebene Kraft aufbringen musste, um einen Fuß vor den anderen zu setzen.
Durch ihre überstürzte Flucht hatte sie keinerlei Proviant bei sich, ja nicht einmal eine Decke, die sie wärmen konnte. Sie spürte, wie sich Hoffnungslosigkeit in ihr breitmachte, wie sie mit jedem Schritt mehr und mehr die Kräfte verließen.
Nur die Furcht vor Mertens trieb sie voran. Nie soll er mich wieder in seine Finger bekommen, dachte sie.
Am nächsten Morgen erwachte sie mit einem bleiernen Gefühl in den Knochen. Sie glaubte, dass es vorübergehen würde und zwang sich dazu, wieder aufzustehen.
Sie war nocht nicht weit gekommen, da setzte der Kopfschmerz ein und die Schwäche wurde so übermächtig, dass sie sich hinlegen musste.
Aus diesem Schlummer weckte sie ein Alptraum von Mertens, doch nun glühte ihr Kopf und sie hatte das Gefühl, Tausende Nadeln würden auf ihren Körper einstechen. Durst brachte sie beinahe um; sie fühlte sich, als würde sie von innen her verbrennen. Sie wünschte sich verzweifelt einen Schluck Wasser und begann zu weinen, bei dem Gedanken an den Brunnen hinter dem Gehöft. Aber sie konnte nicht wieder dorthin zurück, wo Mertens nach ihr suchte.
Ich werde sterben, ging es ihr durch den Kopf. All das Leid, all die Entbehrungen, nur um letztlich vom Tod geholt zu werden …
Das Fieber vernebelte ihre Sinne schließlich so weit, dass sie nicht mehr zwischen Traum und Wachen unterscheiden konnte. Sie kämpfte sich selbst im Fieberwahn noch ein Stück weiter, doch irgendwann brach sie endgültig zusammen, ohne zu bemerken, dass sie direkt neben einem ausgefahrenen Weg lag.
Die Bilder vor ihren Augen verschwammen, die Bäume tanzten und
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