Das Krähenweib
in Schatten getaucht. Die Häuser über ihren Köpfen ließen kaum Licht bis auf den Boden gelangen, und die Augen der Vorübergehenden wirkten so finster, als ahnten sie, dass die beiden Männer ihren Weg zu etwas Ungeheuerlichem suchten.
Von Lascarius’ Miene war nicht abzulesen, ob er Aufregung oder etwas anderes verspürte. Seine Züge, die auf Böttger seltsam alterslos wirkten, waren wie aus Stein gemeißelt. Es war ihm vermutlich egal, ob Böttger die Prüfung bestand. Gewiss gab es noch andere Anwärter.
Dieser Gedanke erfüllte Johann mit Unruhe. Und als sei dies noch nicht genug, schob sich das Gesicht der Fremden vom Marktplatz wieder und wieder vor seine Augen. Wie dunkel doch ihr Haar gewesen war, wie hell ihre Augen und wie schön geschwungen ihr Mund …
Böttger schüttelte den Kopf, um das Bild zu vertreiben. Lascarius bemerkte diese Geste zum Glück nicht. Sein Blick ging weiterhin geradeaus, und es schien, als sei er nicht auf den Weg gerichtet, sondern auf ein fernes Ziel, das nur er durch die Hausmauern hindurch ausmachen konnte. Zu gern hätte Böttger gewusst, was er vorhatte, und über sein Bestreben, die Miene des Mönches zu deuten, stolperte er beinahe, als sie schließlich in eine ihm nur allzu bekannte Straße einbogen.
»Da wären wir!«, sagte der Mönch, als sie vor einem der Häuser haltgemacht hatten. Es war klein und wirkte an einigen Stellen ziemlich ramponiert. Farbe blätterte von der Tür und über den Fensterrahmen hatte Ruß die Fassade verunstaltet, als seien erst vor kurzem Flammen aus ihnen geschossen. Was tatsächlich der Fall war.
Johann lächelte breit. Er wusste, wem das Haus gehörte. Da öffnete der Hausherr auch schon die Tür. Er trug sein Haar zu einem Zopf zusammengebunden, Hemd und Hose waren unter einer fleckigen Schürze verborgen. Er war rotbackig und verschwitzt, und als er Böttger angrinste, wusste er, wem er den Besuch des Alten zu verdanken hatte.
»Nur herein, meine Herren«, sagte Christian Siebert mit einer einladenden Geste, dann tauchten die Männer in die verheißungsvolle und von seltsamen Gerüchen geschwängerte Dunkelheit hinter der Tür ein.
Seit sie vom Brunnen zurückgekehrt war, hatte Marlies nicht mehr mit ihr gesprochen.
Das konnte Annalena nur recht sein. Sie hatte für sich entschieden, dass diese Sache sie nichts anging. Ohne aufzublicken, hackte sie Kräuter und sammelte anschließend die Abfälle ein.
»Annalena«, sprach Marlies sie an, nachdem Hildegard die Küche verlassen hatte. Zuvor hatte sie bei ihnen gestanden und sie schweigend im Auge behalten.
»Ja?« Noch immer sah sie nicht auf. Sie konzentrierte sich allein auf den Geruch nach Petersilie und Kerbel, auf die grünen Punkte an ihren Fingern.
»Kannst du dem Herrn das Essen bringen? Ich fühl mich nicht gut.«
Annalena bemerkte tatsächlich eine gewisse Blässe um Marlies’ Mund und Nase. »In Ordnung«, antwortete sie, band ihre schmutzige Schürze ab, wusch sich die Hände und holte das Tablett, auf dem Marlies eine Schüssel mit Grütze, Gemüse und Fleisch sowie einen Humpen Bier gestellt hatte.
Die Stufen knarrten leise unter ihrem Gewicht, als sie die Treppe erklomm. Röber saß um diese Zeit in seinem Schreibzimmer im oberen Stock, das luxuriöser und gemütlicher eingerichtet war als das Kabinett im Erdgeschoss. Auch nachdem der Laden geschlossen war, ließ die Arbeit den Gewürzkrämer nicht los. Bücher mussten geführt und Geld musste gezählt werden. Der Handel mit Gewürzen brachte im Moment sehr viel ein, und dieser Reichtum musste angemessen verwaltet werden.
»Komm rein!«, ertönte es auf ihr Klopfen.
Annalena trat ein und strebte der kleinen Anrichte zu, die rechts von ihr an der Wand stand. Bevor sie das Tablett dort abstellte, blickte sie sich fragend zu Röber um. Er notierte gerade Zahlen in seine dicken, ledergebundenen Geschäftsbücher, die Feder in seiner Hand zitterte unter seinen Bewegungen.
»Warum bringst du mir heute das Essen?«, fragte er, ohne von seinem Schreibpult aufzusehen.
»Marlies hat mich darum gebeten, weil sie noch etwas anderes erledigen wollte«, antwortete sie ausweichend. Dass sich Marlies schlecht fühlte, brauchte er nicht zu wissen. Obwohl es ihm vermutlich so oder so egal wäre.
Die Feder in Röbers Hand erstarrte und er sah auf. Kurz trafen sich ihre Blicke, und der Ausdruck, der auf Röbers Gesicht trat, gefiel ihr gar nicht.
»Stell es auf der Anrichte ab.«
Annalena nickte und war froh, dass sie
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