Das Krähenweib
hinausspähte, war niemand zu sehen. Der Gang lag still da. Auf Zehenspitzen schlich sie zur Treppe, dann die Stufen hinab. Die Küche war dunkel, nur blasses Mondlicht drang durch das Buntglasfenster und malte Flecken auf den Fußboden. An der Hintertür angekommen schob Annalena vorsichtig den Riegel zurück, dann schlüpfte sie nach draußen.
Richtig wohl war ihr dabei nicht, denn wenn Hildegard auf die Idee kam, noch einmal in ihre Kammer zu schauen, würde sie ein leeres Bett vorfinden und wahrscheinlich glauben, dass sie sich ebenfalls in die Spree gestürzt hatte. Aber dieses Risiko musste sie eingehen, sie wollte jetzt nur bei Johann sein, seine Arme und Lippen spüren, um zu vergessen, was geschehen war.
Selbst mit verbundenen Augen hätte sie den Weg zur Apotheke gefunden. Der Molkenmarkt war wie nachts immer beinahe unheimlich still, nur das ferne Bellen eines Hundes drang an ihr Ohr. Die Zorn’sche Apotheke schien auf den ersten Blick friedlich zu ruhen, doch als Annalena sich der Tür näherte, konnte sie einen Lichtschein ausmachen. Er drang aus einem kleinen Fenster, das in den Sockel des Hauses eingelassen war und wahrscheinlich zum Keller gehörte. Das Licht war merkwürdig fahl und flackerte, als seien Teufel im Keller des Apothekers zugange. Doch Annalena konnte sich denken, dass kein Teufel dort sein Werk verrichtete.
Sie hockte sich neben das Fenster und spähte hindurch. Viel konnte sie zunächst nicht erkennen, denn dicke Schmutzränder an den Scheiben gaben lediglich ein kleines Guckloch frei. Sie erblickte eine Art Ofen und, als sie sich ein wenig zur Seite drehte, auch einen Tisch, auf dem seltsame Gefäße und Gerätschaften standen, darunter auch Zangen, die den Folterinstrumenten eines Henkers ähnelten, aber wesentlich größer waren. Nach einer Weile erschien ein Mann in ihrem Blickfeld. Es war nicht Johann, das konnte sie an seiner Gestalt und dem blonden Zopf erkennen.
»Das soll was werden?«, fragte er, und die Stimme, die antwortete, war ihr nun wieder bekannt.
»Natürlich wird es was! Gestern hat es doch auch geklappt.«
»Und glaubst du nicht, dass wir uns damit den Teufel ins Haus holen?«
»Du hast doch wohl nicht die Hose voll, Schrader? Das hier ist Gottes Werk!«
Annalena beobachtete, wie nun auch Johann die Bildfläche betrat. Er nahm eine der Zangen zur Hand und fasste damit einen metallenen Tiegel. Diesen stellte er in ein Loch, das in die Ofenplatte eingelassen war. Sogleich schlugen die Flammen höher, und Johann ließ nicht den Blick davon ab – genauso wenig wie Annalena.
Wurde sie Zeugin der Goldmacherei oder erlaubten sich die beiden Burschen nur einen Scherz im Keller ihres Dienstherrn?
Plötzlich gab es einen grellen Blitz und Rauch schoss in die Luft. Annalena schrie auf und sprang zurück, dann presste sie die Hand auf den Mund. Gerade noch rechtzeitig konnte sie sich in den Schatten drücken, bevor Johann das Fenster aufriss. Wenig später wurde auch die Tür aufgerissen und der blonde Mann stürzte hustend nach draußen. Annalena hatte keine Gelegenheit mehr wegzulaufen.
»Was hast du hier zu suchen?«, fuhr Schrader sie heftig an, allerdings nicht laut genug, um jemandem den Schlaf zu rauben.
»Ich … ich wollte nur …«, stammelte Annalena, doch bevor sie weitersprechen konnte, tauchte Johann hinter ihm auf und sagte: »Sie gehört zu mir.«
Sein Gesicht war ebenso wie das von Schrader rußgeschwärzt.
Da sich Johann nicht anmerken ließ, dass ihn ihr Besuch überraschte, hielt Schrader ihm sogleich vor: »Warum hast du deine Liebschaft herbestellt? Wenn sie nun mit ihrem Schrei den Meister geweckt hat?«
»Der Schrei war nicht lauter als dein Gemecker, also reg dich ab!«, entgegnete er. »Außerdem kennst du unseren Meister, der schläft nach einem Tag wie diesem wie ein Stein. Eher wird ihn unser Geschwätz wecken, wenn wir noch länger hier draußen bleiben.«
Damit fasste er Annalena bei der Hand und zog sie mit sich in die Apotheke. Schrader wollte protestieren, doch Johann legte den rechten Zeigefinger auf die Lippen, und da sein Kamerad nicht erwischt werden wollte, fügte er sich schließlich.
Hatte sie sich damals bei ihrer Ankunft im Gewürzkontor schon über die seltsamen Gefäße und deren Inhalt gewundert, erstaunte sie das, was sie hier zu sehen bekam, noch mehr. Wie gern hätte sie gefragt, was die Dinge in den Gläsern waren und was die Aufschriften auf den undurchsichtigen Gefäßen zu bedeuten hatten, doch die
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