Das Krähenweib
an die Scheibe schreckte sie aus ihren Gedanken fort. Hinter der Fensterscheibe erblickte sie ein blasses Gesicht. Johann! Er wirkte, als würde er von tausend Teufeln gehetzt.
Kaum hatte Annalena das Fenster geöffnet, streckte er die Hände nach ihr aus und zog sie halb aus dem Fenster. Der Kuss, den er ihr gab, wirkte verzweifelt.
»Was ist geschehen?«
Annalena wollte sich losmachen, um die Hintertür aufzusperren, aber Johann hielt sie weiterhin fest, ja, klammerte sich regelrecht an sie. Erst jetzt merkte sie, dass seine Hände eiskalt waren und zitterten.
»Das Gold, das verdammte Gold«, raunte er und sein Blick glitt gehetzt über ihre Schulter.
»Keine Sorge, Hildegard kann uns heute nicht erwischen«, entgegnete Annalena, die seine Geste richtig deutete. »Sie ist vorhin nach oben gegangen, weil sie Kopfweh hat. Sie schläft sicher schon tief und fest.«
Dennoch blieb Johann angespannt.
»Was ist denn, nun sag doch etwas«, bat Annalena erneut. Ihr wurde immer banger zumute, so kannte sie Johann gar nicht.
»Der König will, dass ich zu ihm komme«, rückte er nun endlich mit der Sprache heraus.
Aber hast du das nicht immer gewollt?, hätte Annalena beinahe gefragt, aber so angstvoll, wie er sie ansah, schien sich sein Wunsch ins Gegenteil verkehrt zu haben.
»Er will gewiss, dass ich ihm Gold schaffe, sehr viel Gold, doch das kann ich nicht. Bei Gott, ich kann es nicht.«
Annalena sagte noch immer nichts. Vor ihr stand nicht mehr der zuversichtliche Bursche, der ihr mit einem Goldregulus imponieren wollte. Alles, was fröhlich an ihm war, schien er unter einem Mantel aus Furcht verborgen zu haben.
»Komm erst mal herein«, sagte sie dann, und nachdem sie sich von ihm gelöst hatte, öffnete sie die Tür.
Johann trat ein, und im Schein der Kerzen, die auf dem Küchentisch standen, konnte Annalena erkennen, dass sich tiefe dunkle Ringe unter seinen Augen eingegraben hatten. Seine Augen selbst hatten jeden Glanz verloren, und seine Lippen waren aufgesprungen. Er sah aus wie jemand, der viele Tage ohne Schlaf und Nahrung in einer Einöde verbracht hatte.
Sie goss etwas Milch in eine Schale und setzte sich dann neben ihn an den Tisch. Johann trank gierig. Als er das Gefäß mit zitternden Händen wieder abstellte, sagte sie: »Jetzt erzähl mir genau, was passiert ist.«
»Die ganze Stadt hat von der Transmutation erfahren, die Postillen waren voll davon. Du hast es doch sicher auch schon mitbekommen, oder?«
Annalena nickte.
»Die Leute drücken sich seitdem die Nasen an unseren Scheiben platt, ich fühle mich wie ein seltenes Tier, das bei einer Kirmes ausgestellt wird. Und jetzt will mich der König sehen. Weißt du, wie es Goldmachern ergeht, die nicht zu seiner Zufriedenheit arbeiten?«
»Er lässt ihnen den Kopf abschlagen oder sie hängen«, antwortete Annalena tonlos und spürte, wie ein Schauder ihren Rücken entlangrann. Von allen Verbrechen war Goldmacherei eines der harmloseren, das höchstens Geldbörsen leerte. Und dennoch wurde es wie Mord und Totschlag bestraft, denn man betrog damit keinen Geringeren als den Landesfürsten, der sich Hoffnung auf Sorglosigkeit machte.
Eigentlich brauchst du doch nichts fürchten, wenn dein Gold echt ist und du wirklich den Stein der Weisen hast, dachte Annalena. Diesmal sprach sie ihre Gedanken auch aus. »Aber du kannst doch echtes Gold machen! Ich habe es selbst gesehen.«
Johann stützte verzweifelt die Hände auf den Kopf. »Ich weiß auch nicht, warum es nicht mehr geht. Das Arkanum, das ich nach Lascarius’ Rezept gebraut habe, muss misslungen sein. Aus dem Scheidewasser ziehe ich damit nur unbrauchbare Reguli. Wenn das vor dem König auch geschieht, habe ich mein Leben verwirkt!«
»Dann solltest du deinem Lehrmeister eine Nachricht senden und ihn fragen, wo der Fehler liegen könnte.« Johann schüttelte den Kopf. »Niemand weiß, wo Lascarius ist. Mir wird nur die Flucht von hier bleiben, wenn ich nicht hängen will.«
»Und wohin willst du fliehen?«, fragte sie, in der Hoffnung, dass er sie bitten würde mitzukommen. Wenn sie erst einmal aus den Mauern der Stadt fort waren und er keine Möglichkeit mehr hatte, in ein Laboratorium zu gelangen, würde er vielleicht auch diese verdammte Liebe zum Gold verlieren.
»Ich werde Röber fragen, ob er mich hier aufnimmt.«
Annalenas Augen weiteten sich erschrocken. Es gab viele sichere Orte für Johann, aber nicht dieses Haus! »Bist du dir sicher, dass du das tun willst?«
»Glaubst
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