Das Krähenweib
du, dein Dienstherr wird mich hier nicht haben wollen? Immerhin stehe ich in seiner Schuld! Er kann unmöglich wollen, dass mir etwas geschieht.«
»Das wäre möglich, muss aber nicht sein. Röber ist vor allem auf seinen eigenen Vorteil bedacht«, entgegnete Annalena und wusste dabei nicht, woher sie den Mut zu diesen Worten nahm. »Und selbst wenn er dich hierlässt, wird er sicher von dir verlangen, dass du ihm die Scheune mit Gold füllst.«
»Röber ist kein König, der mir seine Wachen auf den Hals hetzen kann. Er hat keinen Kerker, in den er mich sperren und keinen Henker, der mir den Kopf abschlagen kann.«
Aber er könnte dich an den König verraten, ging es Annalena durch den Kopf. Aber ihr fiel auch kein anderer Ort ein, an den er gehen könnte – außer mit ihr fort aus der Stadt und das schien er nicht in Erwägung gezogen zu haben.
»Nun gut, dann geh ihn fragen«, sagte sie seufzend. »Aber wenn er dich hier nicht haben will …«
»Was dann?« Johann sah sie erwartungsvoll an.
»Dann verlassen wir noch heute die Stadt.« Während sie sprach, griff Annalena nach seiner Hand. »Die Tore sind vielleicht schon verschlossen, aber wir können uns bei der Fronerei verstecken. Morgen gehen wir einfach fort von hier, an einen Ort, an dem niemand darauf versessen ist, dass du Gold für ihn machst.«
»Das klingt, als würdest du diesen Ort bereits kennen.«
Das Gehöft, dachte Annalena. Dort wird uns niemand finden.
»Ja, den kenne ich«, entgegnete sie entschlossen und beobachtete, dass für einen kurzen Moment ein Leuchten durch seine Augen zog. Doch sie wusste nicht, ob es wirklich ihr galt. Johann könnte genauso gut einen anderen Weg wählen.
»Geh hoch und frag ihn!« Damit zog sie ihre Hand zurück. »Der Herr ist sicher in seiner Schreibstube.«
Röber nahm Johann bei sich auf. Der Krämer wusste, dass dies keine Lösung auf Dauer war, doch solange ihm niemand auf den Pelz rückte, versicherte er Johann, er würde hier Kost und Logis genießen können.
Annalena bezweifelte, dass dies die richtige Entscheidung gewesen war. Ihr Instinkt sagte ihr, dass es Ärger geben würde und dass es besser gewesen wäre fortzugehen, fort von Röber, der es nur auf das Gold abgesehen hatte. Aber Johann wähnte sich in den richtigen Händen, erst recht, nachdem der Krämer das Personal zusammenrief und es anhielt, Stillschweigen zu bewahren. Demjenigen, der dagegen verstieß, drohte er sofortige Entlassung an.
Johann bekam eine Nische im Lager zugewiesen und ihm wurde strikt verboten, sich draußen sehen zu lassen. Zeit füreinander hatten Annalena und Johann nun noch weniger, da Hildegard ständig ein Auge auf sie hatte. Außerdem führte der Weg zu Johann durch das Kabinett des Krämers, und Annalena wollte sich nicht fragen lassen, was sie dort suchte und warum sie ihre Arbeit vernachlässigte.
Die Stimmung im Kontor wurde jeden Tag etwas angespannter. Wenn die Türglocke ging, schreckte Annalena zusammen, und wenn mehr als ein Mensch das Kontor betrat, vermutete sie sogleich königliche Wachen. Bei jedem Klingeln ließ sie alles stehen und liegen, um zum Vorhang zu laufen und nachzusehen. Wenn sie dann Laufburschen oder Kunden sah, atmete sie erleichtert auf, nur um erneut zusammenzufahren, wenn es wieder bimmelte.
So ging es den ganzen Tag, und oftmals rügte Hildegard sie, weil sie etwas verkehrt machte oder sogar fallen ließ. Die Haushälterin hieß sie, ihren Verstand zusammenzunehmen, ohne zu wissen, dass es die Angst um Johann war, die Annalena fahrig und nachlässig werden ließ.
Auch wenn die Türglocke mal eine ganze Weile schwieg, waren ihre Gedanken bei ihm. Sie fragte sich, ob wohl Johanns Freund Schrader, den sie in der Apotheke kennengelernt hatte, wusste, wo sich Johann aufhielt. Und wenn ja, ob er schweigen konnte. Und was war mit Johanns Lehrmeister? Hatte er denn keinen Verdacht, wohin er gegangen sein könnte? Oder wollte er ihn schützen, den Gesellen, der töricht genug war, ihn zu verlassen?
Am ersten Abend nach Johanns Eintreffen ging Annalena mit einer fürchterlichen Unruhe ins Bett. Sie überlegte hin und her, ob sie zu Johann gehen sollte. Doch dann kamen ihr die möglichen Konsequenzen in den Sinn, falls Hildegard oder Röber ihr Umherschleichen bemerken sollten, und da blieb sie doch lieber in ihrer Kammer.
Als es ihr schließlich gelang einzuschlafen, wurde sie von allerhand seltsamen Traumgespinsten heimgesucht. Sie irrte durch die Straßen von Walsrode, auf der
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