Das Kreuz am Acker
entströmte. Die Sonne freute sich an dem bunten Bild und leuchtete auf farbigen Kopftüchern und Wollschals, zog goldene Striche und Fahnen durch den Hauch, der den Raum füllte, und frischte das Gold am Altar und die Farben der Kreuzwegstationen an den Wänden auf. Im dunkelbraunen Gestühl drängten sich die Dorfleute, knieten still und andächtig die Frauen und Mädchen, und flüsterten sich ab und zu die Männer etwas zu. In Andacht gebeugt oder rückenkrumm von der schweren Bauernarbeit, knieten und saßen sie, als der Pfarrer auf den holzgeschnitzten Predigtstuhl stieg. Das Evangelium hörten sie wie alle Sonntage und warteten auf die auslegenden Worte, die ihm folgen sollten. Diese waren an diesem Tage kurz, und als der Geistliche seine Predigt geendet hatte, blieb er eine Weile schweigend auf der Kanzel stehen und sah sich im Kirchenraum um.
Neben den zwei Reihen Betbänken, die links und rechts vom Mittelgang standen, setzten sich vorne, nahe dem Altar, einige kleine Seitenbänke ab. Dort befanden sich neben den anderen Hausplätzen der großen Bauern auch die Plätze für die größten von Hintereben. Auf der einen Seite saß, steif und starr vor sich hinschauend, der Schwaiger und neben ihm knieten die Barbara und die Hauserin. Ihnen gegenüber, auf der anderen Seite der Kirche, kniete in einem grauen Wollkleid und einem gleichfarbenen Kopftuch die Ranklin mit der Agatha und dem Franz, der mit den Daumen der gefalteten Hände seinen dunkelgrünen Hut drehte.
Eine Weile überlegte der Pfarrer noch, und als sich drunten die Köpfe hoben und er in die vielen jungen und alten, frischen und abgearbeiteten Gesichter sah, begann er etwas zögernd:
Noch eines habe ich euch heute zu sagen, meine liebe Christengemeinde. Seit Monaten bangt eine brave Bauersfamilie aus unserer Gemeinde um den Vater, der nicht mehr nach Hause kam und unter rätselhaften Umständen verschwunden ist. Wir haben seiner schon im Gebete gedacht, wie es sich für gute Christenmenschen gehört, weil man leider annehmen muß, daß er sich nicht mehr unter den Lebenden befindet. Gott der Herr weiß allein, wo und wie das Leben dieses Angehörigen unserer Gemeinde ein Ende gefunden hat, und Gott wird auch in seinem Ratschluß fortfahren und vielleicht einmal Licht in dieses Dunkel bringen. Leider müssen wir aber auch annehmen, daß der Ranklhofer eines unnatürlichen Todes gestorben ist.
Gespannt waren die Mienen der Gläubigen, die zur Kanzel emporsahen. Nur die Ranklin war zusammengesunken und starrte auf ihre Hände, und der Schwaiger rührte sich nicht und warf nur einen Seitenblick nach der Kanzel. Lauter werdend fuhr der Geistliche fort:
Aber ich sage euch: Gottes Mühlen mahlen langsam aber sicher, und des Herrgotts Mühlen werden auch den unter ihre Steine bringen und zermalmen, der sich vielleicht am Leben unseres Mitbürgers vergriffen hat. Ich sage euch aber noch eines: Lasset die Toten ruhen und reißt sie nicht aus ihrer Ruhe! Es geht im Dorfe ein Gerede um, daß droben auf dem Steinacker in Hintereben der Geist des Abgängigen als ein Licht erscheine und von dem und jenem schon gesehen worden sei!
Das Atmen der Andächtigen schwoll hörbar an, und der Schwaiger ließ nun seine Blicke in der Kirche herumwandern.
Noch betonter sprach der Pfarrer weiter, und seine Worte kamen grollend vom Kirchengewölbe zurück:
Glaubt doch so einen Unsinn nicht! Es gibt zwar viel zwischen Himmel und Erde, was unser Geist nie wird erfassen und verstehen können, aber wer gibt uns ein Recht, einem Toten nachzureden, daß er noch aus seinem Grabe steigen müsse? Mit euren Geistergeschichten laßt mir die Toten in Ruhe und denkt lieber an ihn mit einem Vaterunser, so wie wir es jetzt alle miteinander tun wollen. Vater unser, der du bist im Himmel…
Da senkten sich die Köpfe wieder, und wie das Rauschen und Brausen eines Gebirgsbaches schwoll das Gebet an. Auf den brummenden Stimmen der Männer ging der Alt der Frauen, und über ihnen klingelte die hohe Stimme der Jugend.
Die Ranklhoferin zitterte und erhob sich in ihrem Stuhl. Zusammen mit ihrem Sohn und der Agatha verließ sie die Kirche, noch während der Pfarrer von der Kanzel stieg und wieder zum Altar ging. Die jungen Burschen, die sich an der Kirchentüre zusammengedrängt hatten, machten den dreien stumm Platz.
Die Ranklhoferin hatte den Schal eng um ihr Gesicht gezogen, und sie ging so schnell den Weg durch das Dorf und heimzu nach Hintereben, daß die beiden Jüngeren kaum folgen
Weitere Kostenlose Bücher