Das Kreuz am Acker
Feuer.
Dabei vergaß sie alle trüben Gedanken des Tages, und da sie jahrelang die kranke Mutter gepflegt hatte, wußte sie, was sie zu tun hatte, tat es fast mechanisch, und das stille Glück des Helfen können’s machte sie geschäftig. Sie wusch dem Alten Gesicht und Hände, bettete ihn zurecht, öffnete das Fenster und kehrte mit einem Reisigbesen die Stube aus.
Die Abendsonne gab dazu einen milden Schein, und eine neugierige Meise rutschte über das Fensterbrett und zipste.
Mühsam atmend lag der alte Mann, und sein bleiches Gesicht mit dem wirren grauen Bart leuchtete fast gespenstisch in der Dämmerung, die aus den Stubenwinkeln kroch.
Er ließ sich den heißen Tee einflößen, und der Blick seiner Augen wurde hell, als sie ihn wieder zurechtlegte.
»Vergelt dir’s Gott«, flüsterte er.
Als sie das Geschirr aufgeräumt hatte, kniete sie wieder an seinem Strohlager nieder. »Hetscher! Hörst du mich?«
Er nickte und sah sie an.
»Du kannst da net bleiben alleinigs! Du mußt in eine Pfleg, vielleicht in ein Krankenhaus.«
Da erhob der Alte die zitternden Hände, und der Schreck entstellte das faltige Gesicht.
»Lieber sterben! Laß – mich liegen – dann sterb ich – und mach anderen keine Arbeit mehr!«
»Soll ich jemanden herschicken? Soll ich es dem Bürgermeister sagen?«
Da ballten sich die Fäuste des Kranken, und er versuchte, sich aufzurichten.
»Net, net! Lieber sterben! Sag’s dem Bürgermeister net!«
Dann sank er ermattet zurück und schloß die Augen.
Nachdenklich betrachtete sie den Alten. Sie kannte ihn, solange sie zurückdenken konnte. Ein armer Besenbinder, ein schrulliger Kauz, der oftmals lachte und redete wie ein Irrer, sich aber recht und schlecht durch das Dasein geschlagen hatte mit Kürbenzäunen, Besenbinden und anderen Arbeiten für die Bauern. Er hatte mit all den Dingen, mit denen sich andere herumstritten, nichts zu tun und kannte deshalb nur ein einfaches Denken. In der letzten Zeit war er wunderlicher und leutscheuer geworden. Mochte das Alter sein, oder es waren die Vorzeichen der Krankheit gewesen, die ihn nun auf sein Lager geworfen hatten.
»Ich muß wieder gehen«, sagte sie und erhob sich.
»Bleib – noch ein – bissel«, stöhnte er.
»Hetscher, wenn es der Ranklhoferin recht ist, dann komm ich alle Tage auf einen Sprung zu dir herüber und pfleg dich. War dir das recht?«
Da versuchte der Alte zu lächeln und nickte heftig.
»Aber sag dem – Bürgermeister nix!«
»Soll ich den Pfarrer herschicken?«
»Dem Pfarrer kannst es sagen.«
Sie wunderte sich, wie verändert ihr der alte Besenbinder heute erschien, wie schnell und vernünftig er alle ihre Fragen beantwortete. Vor ihr lag ein armer, kranker Mann, aber nicht der Halbirre, für den man ihn immer halten mußte. Dieser Kranke kam ihr heute so vernünftig vor wie jeder andere Mann im Dorf.
Sie wandte sich zum Gehen, und da fiel ihr Blick auf das Osterbinkerl, das sie auf einen Stuhl gelegt hatte. Sie nahm es und legte es sachte auf die Roßdecke, mit der sie den Alten noch zugedeckt hatte.
»Schau, Hetscher, da hab ich dir ein Osterbinkerl gebracht. Sollst eine Freud haben dran.«
Mit offenem Mund starrte der Hetscher auf das Geschenk, und als sie ihm das Seidentuch und die Eier in die Hand drückte, schossen ihm plötzlich die Tränen in die Augen.
»Agatha, meiner Lebtag – hab ich kein – Osterbinkerl kriegt! Das gehört net mir – das trag hin – wo es hingehört.«
Sie beruhigte ihn: »Das gehört nur dir, und ich hab es dir bringen wollen.«
Das gequälte Gesicht des Alten verklärte sich, und die Augen wurden hell. Er ergriff ihre Hand und zog sie nieder, daß sie sich noch einmal neben seinem Lager niederknien mußte.
»Agerl, du bist die einzige, die ein Herz hat, alle andern tun nur so – denken: der Hetscher – der Narr – Wart ein bissel, bis ich verschnauft hab – dann – muß ich dir etwas sagen – «
Aufgeregt zuckte sein Kopf hin und her, und er mühte sich, den Atem einzuholen, als könnte es zu spät werden, das zu sagen, was er in dieser Stunde dem einfachen Häuslerdirndl anvertrauen wollte. Sie legte ihm die Hand auf die Stirne, und er wurde wieder ruhiger. Fast ängstlich betrachtete sie ihn. Welch klare Augen er heute hat, gar nicht wie ein Kranker, mußte sie sich wundern, und wie er daherredet! Gab der Herrgott dem armen Teufel in seiner letzten Stunde den hellen Verstand zurück, der sein ganzes Leben lang von Not und Drangsal verschüttet war?
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