Das Kreuz am Acker
um die Scheu vor dem Fremden zu überwinden. Er hatte vom Osterurlaub Gitarrensaiten mitgebracht und das Instrument in seinem Stübchen wieder hergerichtet. Als er an einem Abend auf der Altane saß und zu der Gitarre eine Liedweise summte, hörte er nebenan leise das Fenster klirren und wußte, daß er nun eine Zuhörerin hatte. Bis drunten im Haus eine Stubentür heftig zugeschlagen wurde und er annahm, daß sich jemand über sein stilles abendliches Konzert ärgerte: da zog er sich still wieder in seine Stube zurück.
Mit keinem Wort hatte der Schwaiger wieder von dem Stein im Acker zu dem Ingenieur gesprochen. Es verging aber kein Tag, ohne daß der Bürgermeister nicht an der Baustelle im Dorf erschienen wäre, um sich von dem Fortschritt der Arbeiten zu überzeugen. Und immer nahm er dabei den Weg über die Hochäcker. Wallenbeck hatte die Straße so verlegt, daß sie zwei Meter am Kreuzstein vorbeiführte. Durch den Einschnitt, der an dieser Stelle geschaffen werden mußte, würde aber die Straßenböschung doch bis an den Stein herangehen. Davon jedoch hatte er dem Schwaiger nichts gesagt.
An einem dieser Tage war der Schwaiger beim Pfarrer erschienen und hatte ihn davon verständigt, daß das neue Kreuz auf dem Stein errichtet sei, und daß es nun der Geistliche einweihen möge.
»Gut«, sagte ihm der Pfarrer zu, »machen wir am Pfingstmontag einen Bittgang vom Dorf zu den Hochäckern hinauf und halten wir die Kreuzweihe. Eine kleine Ansprache werde ich mir schon zurechtlegen.«
»Wennst halt darauf hinweisen tatst, Pfarrer, daß man die Zeichen, die die Alten dem Herrgott auf den Fluren gesetzt haben, mehr achten muß, und daß es eine große Sünde ist, wenn man sich frevelhaft an ihnen vergreift. Und daß es keine Feindschaft geben kann zwischen den Leuten, wenn alle den Frieden lieben, und – daß manches auf der Welt herschaut wie eine Schuld und doch keine ist.«
Der Pfarrer kniff ein Auge zu und sah den Bauern lächelnd an: »Werd mir das merken für die Ansprache! Hast ganz gute Gedanken für einen Prediger und hättest selber Pfarrer werden sollen!«
Da bekam der Schwaiger einen roten Kopf und empfahl sich.
»Wenn du ein Weilchen wartest, dann geh ich mit dir«, hielt ihn der Geistliche noch an, »hab einen Krankenbesuch in Hintereben.«
»Wer ist denn krank?«
»Der Hetscher, glaub ich, macht Feierabend.«
»Der Hetscher?« Das Gesicht des Bürgermeisters wurde bleich und leer. »An den hab ich mit lauter Straßenbau nimmer denkt«, murmelte er. »Leicht soll man ihn in ein Krankenhaus tun?«
»Ich möcht dem alten Mann das nicht mehr antun vor dem Sterben«, sagte der Pfarrer, »er hat eine Pflegerin gefunden, und die kümmert sich gut um ihn.«
»Eine Pflegerin?« Der Bauer blieb überrascht stehen.
»Die Rothkopf Agatha. Die kann sich gut helfen und hat ja lange Zeit ihre Mutter pflegen müssen.«
»Ist die net Dirn beim Rankl?«
»Schon, aber bei der Nacht kocht und wäscht sie für den Hetscher und versorgt ihn, und tagsüber kommt sie auch schnell auf einen Sprung.«
»Hm, so, die Agatha?« Hinter der Stirne des Bauern kreisten schwere Gedanken. War es nun soweit mit dem alten Besenbinder, daß er gehen mußte? Das beste wäre es für ihn – und auch für andere.
»Wie ein Wunder ist das«, redete der Pfarrer weiter, »der Mann hat anscheinend jetzt wieder seinen ganzen Verstand beinander. Redet daher wie jeder andere gescheite Mensch.«
»Was redet er denn?« rumpelte es dem Schwaiger heraus.
»Was man halt so daherredet«, lenkte der Geistliche ab.
Als sie durch die Schlucht neben dem Elenderbach aufwärts gegen das Hinterebener Tal schritten, hallten überm Wald die Sprengschüsse.
»Wenn die Straß nur erst fertig war!« seufzte der Bauer.
»Kommt Geld ins Dorf, und brauchen könnt ihr die neue Straße wie das tägliche Brot. Braucht halb so viel Reparaturen an den Wägen, und es ist nun auch endlich ein bissei mehr Anschluß an die Welt.«
»Na ja, aber trotzdem, wenn sie fertig ist, stift ich eine Kapelle!«
Sie trennten sich, und jeder folgte einem der Wege an den Talseiten.
Zu einer kurzen Nachschau war die Agatha gerade wieder im Besenbinderhäusel, als der Pfarrer kam.
»Unsere Samariterin!« begrüßte er sie. »Bist ein braves Dirndl und hast dir einen braven Mann verdient, wenn’s so einen gibt, der zu dir paßt, wie es sich gehört. Was sagt denn die Ranklin, wenn du auch beim Tag herüben bist?«
»Ich schick mich schnell und bin alleweil gleich
Weitere Kostenlose Bücher