Das Kreuz der Kinder
wieder in die Hände fielen.
Bejaia ist der größte Umschlagplatz der bekannten Welt,
liefert seine menschliche Ware von Marrakesch bis hinauf
nach Wisby und Kiew, vom prächtigen Córdoba bis ins
sagenhafte Samarkand. Nur wer jung und kräftig ist,
kommt hier zum Verkauf, bei Männern ist auch die Kunst
des Lesens und Schreibens gefragt.
Stephan, dessen schönen Visionen die Kinder ihre Lage
verdanken, dreht in der Kerkerhaft durch wie ein tobender
Djinn, er hält den Fraß, den die Wärter ihnen vorwerfen,
für himmlisches Manna, das stinkende Wasser, das sie von
den Wänden lecken müssen, für den Wein der
Offenbarung. Der prophetische Hirtenknabe phantasiert
immer ausschweifender, immer wilder, leuchtenden Auges
von dem Meer, das sich für alle, die ihm folgten, teilen
würde, dabei war es längst über ihnen
zusammengeschwappt, hatte sich von seiner grausamsten
Seite gezeigt. Hunderte waren elend ertrunken, die
Überlebenden neideten ihnen den Tod, so wie sie in den
finsteren Löchern hockten und einer ihnen Angst und
Grauen einflößenden Zukunft harrten. Der ›Mindere
Prophet‹ schwärmte weiter von dem herrlichen Jerusalem,
das ihnen verheißen sei. Und es fanden sich immer noch
viele, die in ihm den gottgesandten Messias sahen und
alles, was sie vermochten, drangaben, Stephan das karge
Leben so angenehm wie möglich zu gestalten.
Étienne, der einstige Dieb von Saint-Denis gehörte nicht
mehr dazu. Erst hatte er sich abgesondert, dann kehrte er
in sich, ihm begegnete ein anderer Herr Jesus, einer, der
nichts versprach und nichts forderte. Étienne begriff sein
Schicksal als Passion, die ihm den Weg Christi wies, einen
Weg des Leidens mit der Hoffnung auf das wahre Leben,
auf das Paradies.
Luc de Comminges hingegen, der ›Vicarius Mariae‹,
hatte alles abgestreift, was ihn als gelehrigen Schüler des
Domenikus auszeichnete. Die Willfährigkeit, mit der er
sich jedem neuen Herren andiente, ließ ihn auch den
Glauben wechseln wie ein verschwitztes Hemd, als
eifriger, glühender Anhänger des Islam biederte er sich
sofort bei dem obersten Kerkermeister von Bejaia an,
nachdem er schon auf dem Sklavenschiff die Piraten
schnell zu überzeugen wußte, daß ein bissiger Köter wie er
nicht in den Käfig gehört, in den ihn noch der ›Eiserne
Hugo‹ gesteckt. Als treibender Hütehund machte er sich
bereits auf der Überfahrt nützlich – nur kläffen konnte er
nicht mehr so recht. Es fehlten die Zähne, die Pol ihm
ausgeschlagen! Kaum hatte Luc den Boden Iffriqias
betreten, schälte er sich auch aus seiner alten Ordenskutte
und schlüpfte in das härene Gewand eines Sufis. Der neue
Schmetterling des Propheten Mohammed nannte sich jetzt
Saifallah, der Preis war ab nun der tägliche Verrat an
seinen in den Kerkern ausharrenden ehemaligen
Glaubensbrüdern. Selbst die abgebrühten Wärter zeigten,
wenn auch nur insgeheim, mehr Mitgefühl für das
erbärmliche Los der armen Kinder…
»Mir fehlt der Trost der heiligen Jungfrau –.«, tönte
respektlos die Stimme des Alekos dazwischen, »– ›die
Madonna der Kerker von Bejaial‹«
Der scharfzüngige Grieche hatte von allen unbemerkt die
Bibliothek betreten. »Die Sajidda Blanche plaudert
trefflich und stimmungsvoll über alle und jeden, verliert
aber kein Wort über sich selbst, über das Mirakel –.«
Er unterbrach nur kurz, weil die Angesprochene pikiert
das Pult räumte.
»Nicht jeder, der schreiben kann, zeichnet sich schon
deswegen durch Herzensbildung aus!« zischte die Sajidda
erbost und wollte am Emir vorbei aus dem Saal der
Bücher stürmen, doch der hielt die Dame galant auf.
»Eine Beleidigung für Euch stellt der Einwurf gewiß
nicht dar –.«
»Noch nicht!« fauchte die Dame.
»Wer austeilt–«, der Emir lenkte den Blick der Sajidda
Blanche auf den Käfig in der Ecke, »– muß auch
einstecken können!«
Er nötigte sie, an seiner Seite Platz zu nehmen, und
Alekos fuhr fort, bemüht milder.
»Mir kam nur gerade das Schicksal der Mädchen in den
Sinn, von denen Blanche auch eines war, und das
deswegen aber auch nicht verschwiegen werden sollte!«
Er lächelte entschuldigend in ihre Richtung. »Die
Mädchen wurden getrennt gehalten. Sie erlebten als erstes
die Fingerprobe des Eunuchen, denn solche, die keine
Jungfräulichkeit mehr aufwiesen, also für einen Harem
nicht in Frage kamen, fielen im Wert weit unter Schafe
und Ziegen. Daß Blanche, die seit ihrer Kindheit, in der
sie
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