Das Kreuz der Kinder
hatte, um auch dort jede Spur seiner Untaten zu
verwischen, hatte weisungsgemäß Randulf und Daniel
aufgegriffen und segelte jetzt eiligst mit ihnen sowie der
Styrum und Miriam hinter der Flotte der Sklavenhändler
her, die die deutschen Kinder an Bord genommen hatten.
›Armin‹ machte weder Randulf noch Daniel einen
Vorwurf, daß sie in ihrer und des ›Heilers‹ Abwesenheit
dies nicht verhindert hatten – sie hätten es auch wohl
kaum vermocht, denn der übriggebliebene Rest der
Deutschen, die sich bis hierher geschleppt hatten, war
nicht gewillt gewesen, sich noch von irgendjemand
aufhalten zu lassen. Jedes Schiff war ihnen recht, und
diese Barken, die sie freudig bestiegen hatten, stürmten
nun unter vollen Segeln gen Süden, sie flogen ihrem Ziel
entgegen. Daß sie sich in den Händen von
Sklavenhändlern befanden, nahmen sie nicht wahr, einen
solchen Gedanken wollten sie gar nicht erst aufkommen
lassen.
Auf dem einzelnen Segler mit den Nachzüglern an Bord,
der sich mühte, westlich an Korsika und Sardinien vorbei
die Flottille einzuholen, gab man sich hingegen keinerlei
Illusionen hin. Miriam hatte ihren Gefährten alles
berichtet, was sie schon in Rom in Erfahrung gebracht
hatte, ohne daß es ihr – und später den anderen – noch
hätte nutzen können. Natürlich hätte sie sich sofort
›Armin‹ anvertrauen können, um sich vehement gegen das
drohende Schicksal aufzulehnen, statt es sehenden Auges
geschehen zu lassen, daß auch Daniel und Randulf in die
Falle liefen. Doch dem Fatalismus, dem die Jüdin
zunehmend verfallen war, ergaben sich bald auch die
anderen. Ihr Überlebenswille bäumte sich nur noch einmal
auf, als sie – kurz vor dem Erreichen der Berberküste –
endlich die vorausgefahrene Flotte erreichten. Der Kapitän
ihres Seglers verspürte kein Verlangen, in den
berüchtigten Hafen von Bejaia einzulaufen; er signalisierte
also den Piraten die Absicht, seine geringe Fracht noch auf
hoher See loszuwerden. Das größte der Schiffe kam
herbei, ging längsseits und übernahm die vier Passagiere.
Die hielten sich eng beieinander, schon um die
Behinderung Randulfs zu vertuschen, denn so gleichgültig
ihrem bisherigen Kapitän das Los der Häftlinge gewesen –
er fuhr im Auftrag, und der war hiermit erfüllt –, hatten
die Sklavenhändler durchaus ein Auge auf den Zustand
ihrer Ware. Das Umsteigen verlief ohne Zwischenfall, die
lang vermißten Anführer wurden mit Begeisterung
willkommen geheißen, als sie zu ihren Leidensgefährten in
den Frachtraum unter Deck gestoßen wurden.
Daniel, der jetzt leicht das Kommando hätte wieder an
sich reißen können – nach Niklas, dem ›Heiler‹, krähte
kein Hahn mehr –, überließ still ›Armin‹ den Vortritt. Der
Legatus machte sich klein, nicht aus Angst vor dem
Ungewissen, das vor ihnen lag, sondern in der bitteren
Erkenntnis, versagt zu haben. Er hatte sich – aus falscher
Eitelkeit – von Monsignore Gilbert mißbrauchen lassen
und dann nicht die Kraft aufgebracht, wenigstens das
Schlimmste, das er mitverschuldet hatte, zu verhindern. Er
erwartete seine Strafe zu Recht, im Gegensatz zu den
immer noch ahnungslosen Unschuldigen, die sich mit ihm
in der lichtlosen Enge drängten, vor sich hindösten und
davon träumten, vom strahlenden Glanz des himmlischen
Jerusalem geweckt zu werden.
Als jetzt die Ladeluken aufgerissen und sie brutal an
Deck getrieben werden, starren ihre Augen auf das
Kalkweiß schmuckloser Karawansereien vor felsiger
Küste, kein christliches Kreuz schmückt die schlanken,
spitzen Türme, die wie Gefängnisaufseher das riesige
Areal bewachen, das sich an die Hafenmolen anschließt.
Vor ihnen breitet sich Bejaia, der übelste Sklavenmarkt
des gesamten Mittelmeers wie eine bösartig schillernde
Qualle aus, wenn man all die Verästelungen der Straßen
und Häuser verfolgt, die sich hochziehen in das Gebirge:
die Villen der reichen Sklavenhändler. Erst in Sichtweite
des sicheren Hafens hat man die Gefangenen herausgeholt
aus den dumpfen Schiffskielen, um sie zu waschen und
ansehnlich herzurichten.
›Armin‹ leugnet inzwischen ihre Weiblichkeit mit dem
Erfolg, daß sie zu den Männern hinübergetrieben wird.
Um das Hinken Randulfs zu verbergen, faßt sie den
Krüppel beherzt unter dem Arm und winkt auch Daniel
herbei, behilflich zu sein, doch Randulf – ohne seine
Krücken – gerät ins Wanken und, ehe Daniel
hinzuspringen kann, fällt er der Länge
Weitere Kostenlose Bücher