Das Kreuz der Kinder
Emir
nicht minder auf den seinen.
»– im Windschatten des aufgeregt schaukelnden
Frachtschiffs glitt mein Segler heran, und mein Kapitän tat
noch aufgeregter zwischen gespielter Neugier und
vorgetäuschter Hilfsbereitschaft. Um die Verwirrung noch
zu steigern, hatte ich Melusine erlaubt, ja gebeten, ihr Zelt
zu verlassen und sich unverschleiert zu zeigen. Das tat
seine Wirkung! Mühelos überwand mein Kapitän die tief
unter Wasser gedrückte Kette. Bevor die Wachen das
Manöver als Flucht erkannten, hatte er bereits mit
Melusine das offene Meer erreicht und verschwand in der
hereinbrechenden Nacht.«
»An eine Verfolgung war schon deswegen nicht zu
denken, weil das sperrige Frachtschiff immer noch die
Hafeneinfahrt blockierte.«
»Um zu vermeiden, daß sich der Zorn des Ahmed
Nasrallah auf Euren Kapitän entlud, empörte ich mich
über die unverschämte Eigenmächtigkeit des meinen,
unterstellte ihm gar den Raub der schönen Königstochter,
schwor wilde Rache –.«
»Doch der Eunuch, dieser halslose Fleischberg war nicht
auf den Kopf gefallen. Er durchschaute das Spiel. Den
Verlust steckte er weg, und Euch nahm er in Geiselhaft?«
»Er bat mich, sein Gast zu sein, bis der Herrscher oder
wenigstens sein Ouazir al-Khazna, der großmächtige
Oberhofkämmerer des Sultans, seine Residenz zu Tunis
mit einem Besuch beehren würde.«
Rik betrat auf leisen Sohlen das Privatissimum des
Emirs. »Marius hat alles, was wir vermuteten, bestätigt.
Der Moslah ist im Besitz unserer Chronik, den Saifallah
hält er an Deck nicht viel besser, als Ihr es tatet.«
Rik wandte sich an den Hafsiden. »Der Zugang zum
gesicherten Aufenthaltsort des Manuskripts ist ihm
strengstens untersagt. Als warnendes Beispiel wird ihm
dienen, wie mit Eurem Marius verfahren wurde!«
»Wenn Dummheit weh täte, müßte der Kerl den ganzen
Tag schreien!«
Der Hafside genoß die Vorstellung mit Maßen. »Genau
genommen könnte ich ihm das Auspeitschen erlassen, er
ist mit sich selbst gestraft genug!«
Abdal bedachte noch seine Anwandlung von Milde, als
der Emir fragte: »Warum – bi khudrat Allah! – hat er sich
eigentlich dazu hergegeben?«
»Der Moslah hat gedroht, es an den Tag zu bringen –.«
»Was!?«
»– daß der Mönch nicht recht schreiben kann«, druckste
Rik herum, »und lesen schon gar nicht!«
»Wie das!« entfuhr es entgeistert dem Emir. »Er hat
doch zu Beginn –?«
»Bis er gnädigerweise von Daniel abgelöst wurde«,
erklärte Rik, »bis dahin hat Euer famoser Moslah Nacht
für Nacht das Gekritzel des Marius nach dessen
Erinnerung in eine leserliche Form gebracht, denn der
Baouab beherrscht alle Arten von Schrift auf das
hervorragendste, während dieser Marius von Beweyler
nicht einmal sein Latein gelernt hat, geschweige denn
Arabisch!«
»Moslah, dieser aalglatte Schuft!« schimpfte der Emir.
»Diese Schlange! Er hat also von Anfang an alles
mitgelesen –.«
»Der Majordomus besaß auch einen Zweitschlüssel zur
Truhe, in der wir das Manuskript sicher verwahrt wähnten.
Aufgebrochen wurde sie nur, um die schleimige Spur des
Grottenmolchs unkenntlich zu machen. Der Moslah haßt
alle Christen und verachtet jene Muslime, die nicht ihre
Feinde sind.«
Der Emir vermochte seine Erschütterung nur schlecht zu
verbergen. »Der Baouab hatte also den Mönch völlig in
der Hand?«
»Er erpreßte ihn damit, daß er ihm androhte, die
mangelnden Fertigkeiten des Marius seiner Herrschaft zu
offenbaren, so daß der um seine ihm liebgewordene
Stellung als ›Vater der Bücher‹ bangen mußte –.«
»Ich sollte ihm doch eine Tracht Prügel verabreichen
lassen«, knurrte der Hafside. »Bei soviel Blödheit ist jedes
andere Mittel zu anspruchsvoll!«
»Macht ihn wieder zum Gärtner«, schlug Rik
vermittelnd vor, »auch wenn es die werte Sajidda Blanche
kränken sollte, die sich gern mit einem eigenen
Bibliothekar schmückt, mit dem sie gelehrt über die zu ElDjem versammelte Dichtkunst parlieren kann –.«
»Meine Frau?!«
Abdal der Hafside bekam einen Lachanfall. »Die Sajidda
Blanche kann doch selber weder lesen noch schreiben, in
keiner Sprache –.«
Er lachte so schallend, daß er sich fast verschluckte. »Ich
finde das großartig: Die Dame vertraute also die ganzen
Jahre einem ausgemachten Analphabeten als besonders
schriftkundig gepriesenen ›Amin al Kataba‹!«
Kazar Al-Mansur schüttelte den Kopf und sagte
vorwurfsvoll zu Rik: »Und auch du hast nichts davon
gemerkt?!«
Rik zuckte
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