Das Kreuz der Kinder
war
derart auf Melusine, ihr Bangen und ihre Nöte
ausgerichtet, daß er kaum noch Gedanken an jene
verschwendete, die auch auf ihn hofften: Rik und Pol. Die
völlige Isolierung von der Außenwelt – denn auch der
Moslah ließ sie im eigenen Saft schmoren – trieb ihr
Sinnen genau in die Richtung, die der Majordomus, sei es
aus purer Bösartigkeit angedacht hatte, sei es, daß er sich
nicht mehr anders zu helfen wußte. Der Grottenmolch sah
sich in einem Mahlwerk, dessen Zahnräder und Gewinde
immer enger drehten, je tiefer er mit jedem Tag rutschte.
Nicht nur mußte er zwei Mühlsteinen ausweichen, die sich
auf ihn zuwälzten, sondern einem malmenden Getriebe,
spitzen Stangen und harten Klöppeln, die nach ihm griffen
und schlugen. Hätte er sich sicher sein können, daß der
Emir nicht zurückkam, wäre die Lösung einfach gewesen,
doch Ahmed Nasrallah würde ihm seinen Herrn genau
dann schicken, wenn hier die Töpfe brodelnd und zischend
überkochten. Und das nicht einmal, um ihm, Moslah, eins
auszuwischen, sondern um Kazar Al-Mansur bei
lebendigem Leibe ins siedende Öl zu werfen. Sollte er die
Gefangenen laufen lassen – oder sie töten? Beide?
Schenkte er ihnen die Freiheit, mußte er sie doch
verschwinden lassen – oder sie bedeuteten über kurz oder
lang neues Ungemach. Moslah traute keinem
Sklavenhändler, dem Hafsiden schon gar nicht. Tötete er
sie, konnte der Emir ihn zur Rechenschaft ziehen, dafür
würde schon die Frau im Harem sorgen. Und Melusine
sollte er kein Haar krümmen, jedenfalls nicht, bis der Sohn
geboren war und die Brust der Amme nahm. Unternahm er
von all dem nichts, was ihn so verlockend deuchte, daß er
des Nachts davon träumte, erschien dann die gräßliche
Pranke des riesigen Müllers, stopfte Ahmed Nasrallah ihn,
den armen Moslah, in dem Trichter der Mühle-.
Im Kerker erfährt Rik erstmals, was Pol und seine ›Melou‹ am gemeinsamen Abenteuern von Saint-Denis bis
nach Marseille durchgestanden haben, von der Tragödie
der Kinder und dem fatalen Abschluß auf der Insel Linosa,
von dem Timdal berichtet hat. Gegen diese prasselnde
Feuersbrunst des Geschehens, kommt Rik die Geschichte
seiner Liebe zu Melusine wie die kleine Flamme einer
Kerze vor, die er herübergerettet hat aus der ersten und
einzigen Begegnung im brennenden Donjon. Bewegt
gesteht er seinem Mitgefangenen die ›größere‹ Liebe zu
und ein stärkeres Recht auf ein Überleben. Doch Pol weiß,
wie sehr ›Melou‹ ihren blonden Ritter geliebt hat, und
wahrscheinlich noch immer liebt, zudem hat er den
Deutschem als aufrechten, sympathischen Kerl erlebt, so
daß für ihm klar ist, daß Rik der Preis – und ihm der Tod –
gebührt.
Die beiden überbieten sich gegenseitig an Großmut,
jeder will sein Leben für den anderen geben – um der
Liebe zu Melusine willen, in die sie sich jetzt, im
Angesicht des Todes und getrennt von ihr, immer mehr
hineinsteigern, weit intensiver, als sie ihren Gefühlen der
Schönen gegenüber je Ausdruck gaben. Vor allem ist
keiner bereit, den neugewonnenen Freund dem Henker zu
überlassen.. Dieser Stolz, dieser Ehrgeiz, entfernt sich
zunehmend vom eigentlichen Gegenstand ihrer Rivalität,
gewinnt mehr und mehr die Oberhand, das Auftrumpfen
mit der edlen Geste läßt sie die bittere Wirklichkeit soweit
verdrängen, daß sie beide um die Wette nach dem Henker
verlangen -
Der ratlose Majordomus läßt Timdal zu sich rufen, er
will sich absichern in seiner Entscheidung, und der Mohr
hat das Ohr des Weibes, das morgen schon zur Mutter des
Prinzen werden kann und damit zu seiner zukünftigen
Herrin. Doch Timdal überfällt den Verzagten mit der
Frage, ob er denn nichts unternehmen wolle, damit sein
Herr heimkehre. Der Moslah windet sich.
»Warum verwehrt der Eunuch dem Emir die
Rückkehr?!«
Der Moslah verweigert sich der offenen Antwort nicht,
obgleich damit auch der lästige Frager zum Problemfall
wird, dessen Lösung er sich zusätzlich auf die Schultern
lädt. Entsprechend ungnädig fällt die Antwort aus: »Um
ihn mürbe zu walken wie zu festes Leder, derweil ich den
Bottich anrühre, denn der Kabir at-Tawashi will Emir von
Mahdia werden – als Altersversorgung.«
Er sah des Mohren ungläubiges Grinsen und so, nun
schon mal begonnen, schüttet er sein Herz aus, wie einen
stinkenden Kübel voller Unrat, ätzendem Verrat und
fauliger Ratlosigkeit. »Besser hier einsamer Herr des
Horns von Iffriqia als in Tunis der zweite
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