Das Kreuz der Kinder
der
schnellste Weg zum Hafen, und wenn er den Emir dort
nicht mehr empfangen konnte, dann war es auch die
kürzeste Verbindung zum Palast. Unterwegs ließ er Rik
losketten und schleppte den tief Bekümmerten mit sich.
Der Emir hatte keine Zeit verloren, er war über Bord
gesprungen, hatte schwimmend den Kai erreicht und war
sofort in den Harem gestürzt. Das Schiff, das ihn aus
Tunis gebracht hatte, lag noch vor der Einfahrt und wollte
gerade die Rückreise antreten, als ein großer Korb an Bord
gebracht wurde, der dem Kabir at-Tawashi Ahmed
Nasrallah zu übergeben sei. Damit segelte es von dannen.
Kazar Al-Mansur hatte sich hinauf zu den Zinnen der
Mauer begeben, um von dort aus das Schiff des Hafsiden
solange wie möglich im Auge zu behalten, das seinen
einzigen Sohn forttrug. Doch dann hatte er einen kurzen
Blick in den Bericht des Mohren werfen wollen, und als er
ihn bis zu Ende gelesen hatte, war der Segler längst hinter
dem Horizont verschwunden. Ein lähmendes Gefühl der
Leere, der Sinnlosigkeit überfiel ihn, wollte ihn erdrücken.
Er schlug die Ledermappe heftig zu und sprang auf. Der
Schritt war richtig gewesen, es ging ja auch um Karims
Zukunft, die Sicherung des ihm zustehendem Erbes!
Würde er, Kazar Al-Mansur, als Statthalter von Mahdia in
Ungnade fallen, wären die Aussichten des Sohnes auf die
Nachfolge im Amt gleich Null – der Emir wanderte
unentschlossen auf der Mauerkrone auf und ab… So
bestand immerhin die Wahrscheinlichkeit, daß Abdal in
Kairo die Machenschaften des Moslah aufdeckte, der
gräßliche Saifallah unschädlich gemacht wurde, so daß
alle Verleumdungen, die beide gewiß gegen ihn bereits
vorgebracht hatten, sich in übelriechende Luft auflösen
würden, wie ein unangemessener Furz in Gegenwart des
allmächtigen Großwesirs. Dagegen würde auch die
vertrauensvolle Geste des Vaters stehen, der ohne zu
zögern sein Wertvollstes, sein eigen Blut als Unterpfand
hergab – Zeugnis seiner uneingeschränkten Loyalität
gegenüber dem Sultan von Kairo. Einen besseren Beweis
seiner Unschuld als Karim gab es nicht, und daß dem
Knaben kein Leid geschah, dafür bürgte ihm – außer dem
Hafsiden – auch Rik. Daß der ihn hüten würde wie seinen
Augapfel, darauf wollte, mußte er sich verlassen. Der
Deutsche hatte sein volles Vertrauen vom ersten
Augenblick an, als sie sich am Sterbebett von Melusine
gegenüberstanden, also vom ersten Schrei des
Neugeborenen und dem letzten Lächeln der geliebten
Frau. Rik war es gewesen, der ihr die gebrochenen
Sternenaugen geschlossen hatte, während er, Kazar, das
greinende kleine Lebewesen der schwarzen Amme an die
Brust legte. Die Ärzte hatte er zum Teufel gejagt, den
Moslah angeschrien; der Wahnsinnsschmerz hatte ihn erst
überflutet, als Melusine von den Frauen gewaschen wurde,
um dann starr und bleich ins Leichentuch gehüllt zu
werden – er sah das blutgetränkte Laken. Warum hatte er
den Moslah damals nicht erwürgt, sondern ihm den Disput
erlaubt, daß die von ihm getroffenen Maßnahmen rechtens
waren?! Mit bloßen Händen hätte er die Kröte mit dem
Gesicht so lange in die blutigen Lappen stoßen sollen, bis
sein schlechter Mundgeruch röchelnd versiegt wäre – Er
hatte es nicht getan, hatte den schleimigen Lurch weiterhin
ertragen! Erst jetzt, durch Timdal, erfuhr er überhaupt,
was sich zwischen Rik und Pol damals abgespielt hatte –
shukran lillah, daß Melusine von dem traurigen Ende ihres
Freundes Pol nicht mehr erfahren mußte. Der Moslah hatte
es ihm, Kazar, immer so dargestellt, daß der Gefangene
sich seiner Hinrichtung entziehen wollte, nicht daß er sich
für den anderen opferte. Und Rik hatte nie darüber
geredet! Was hatte sich der Moslah angemaßt!? Welches
Maß an Bosheit hatte den Kerl nur angetrieben!?
Kazar Al-Mansur machte sich bittere Vorwürfe, den
windigen Schleicher nie zur Rechenschaft gezogen zu
haben, denn auch von dem Los, das der kleine Timdal
damals erlitt, erfuhr er erst jetzt. Rik hatte recht, der
Deutsche hatte ihn oft genug gewarnt! Der Moslah war
immer sein Feind gewesen, doch die schlimmste Schuld
hatte er mit dem Tod von Melusine auf sich geladen, hätte
diese aufgeblasene, herzlose Kröte rechtzeitig die Ärzte
gerufen – anstatt sich um die Hinrichtung zu kümmern –
wäre – hätte! Er, Kazar Al-Mansur, hatte sich auch im
nachhinein als zu schwach erwiesen! Stand nur zu hoffen,
daß der Hafside jetzt dafür sorgte, daß dem
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