Das Kreuz der Kinder
mit viel Glück entgangen
sind.
»Euer Schutzengel mit dem Bocksfuß hält doch die
Hand über Euch!« scherzt Oliver, kaum daß das Prasseln
der Steine nachgelassen hat.
Mühsam kämpfen sie sich den Saumpfad hoch, von den
Spuren der erst kürzlich durchgezogenen Ritter ist nichts
mehr zu sehen, auch müssen sie bald absteigen und ihre
Pferde am Zügel hinter sich herzerren. Sie haben die Höhe
noch nicht erreicht, da erblicken sie unter einem
überkragenden Fels zwei zusammengekauerte Gestalten,
die dort Zuflucht gesucht. Eine, wohl ein alter Mann, liegt
ermattet am Boden – um ihn bemüht sich ihn rüttelnd ein
junges Weib! Rik sieht unter dem herabhängenden Haar
nur ihr Profil. Es durchzuckt ihn wie ein Blitz:
»Melusine!« ruft er freudig aus und stapft vorwärts
durch den hohen Schnee.
Die schlanke Frau wendet sich zu ihm um – sie ist nicht
die Gesuchte, und doch überrascht sie Rik. »Wenn Ihr
Melusine de Cailhac im Sinne habt«, sagt sie mit rauher
Stimme, »habt Ihr es nicht schlecht getroffen: Ich bin
Elgaine d’Hauptpoul, ihre Halbschwester!«
Sie schaut dabei aber nicht auf ihn, sondern mit einem
merkwürdigen Blick zu Oliver hin, der zögerlich
näherkommt. Ihm zeigt sie den alten Mann, der – bei
näherem Hinsehen aus einer schlimmen Kopfverletzung
blutet, und auch die Schulter seines Wams ist rot gefärbt.
»Steinschlag!« erklärt Elgaine die schlimmen Wunden.
»Wir haben beide Pferde eingebüßt!«
Sachkundig wechselt sie die Tücher, die sie mit Schnee
gefüllt zum Kühlen der klaffenden Stirnwunde verwendet.
Oliver betrachtet kritisch deren Zustand, bevor er dem
Alten den Puls fühlt. Schon das Anheben des Armes ruft
ein dumpfes Stöhnen hervor, aber wenigstens schlägt der
Verletzte die Augen auf. »Schlüsselbein gebrochen –.«,
konstatiert Oliver sich behutsam vortastend, »wenn nicht
auch das Schulterblatt?«
Der Alte stößt einen spitzen Schmerzensschrei aus, sein
Atem geht stoßweise. »Laßt mich in Frieden hier sterben«,
murmelt er.
Rik nestelt aus seiner Satteltasche den Ziegenlederbeutel, den ihnen der Vogt von Tiefencastel mit auf
die gefährliche Reise gegeben hat. ›Der Geist des Weines
bewahrt keinen vor dem Erfrieren, aber man spürt es
weniger!‹ hatte der erfahrene Mann gescherzt. Rik flößt
dem Liegenden die brennende Flüssigkeit ein.
»Sind Euch keine Ritter begegnet?« fragt die grünäugige
Elgaine. »Sie gaben einem jungen Mann das Geleit –.«
›Das gleiche kastanienfarbene Haar!‹ denkt Rik
benommen.
»Wir trafen Herrn Friedrich auf seinem ›Königsritt‹ vor
den Mauern Churs«, gibt Oliver bereitwillig Auskunft.
Da richtet sich das Fräulein d’Hautpoul auf, reckt sich
herausfordernd in ihrer Stattlichkeit, sie ist nicht minder
gut gewachsen als ihre Schwester Melusine, stellt Rik fest;
doch Elgaine hält sich wieder an Oliver. »Dem Mu’allim
ist nicht mehr zu helfen, wie Ihr Euch selbst überzeugt
habt. Ich aber muß den König einholen, noch bevor er
Konstanz erreicht. Es ist wichtig«, wendet sie sich jetzt
auch flehentlich an Rik. »Lebenswichtig!«
Rik sieht zu seinem Freund hinüber, der dem Verletzten
wenigstens einen Kopfverband anlegt, womit er das
Bluten zum Stillstand bringt; dann schiebt er dem
Erschöpften Riks Satteltasche unter den Nacken.
»Ich werde Elgaine begleiten« – Oliver erhebt sich »und unterwegs versuchen, Leute mit einer Tragbahre
aufzutreiben –.«
»Macht Euch solche Mühe nicht mehr meinetwegen«,
seufzt der Alte. »Ihr könnt mich auch hier begraben.«
Rik nimmt die kalte Hand in die seine und winkt den
beiden zu, sich zu entfernen. » Wir werden hier auf Eure
Rückkehr warten!« ruft er mit betont vertrauensvoller
Stimme hinter Oliver her, der Elgaine vor sich auf sein
Pferd gesetzt hat. Sie reiten mit bedächtigem Schritt durch
den Schnee davon.
Obgleich die Sonne noch wärmend auf die Zurückgebliebenen scheint, wickelt Rik den Verletzten
fürsorglich in die Pferdedecke, dann bindet er seinen Gaul
ebenfalls unter der Felsnase an einen Stein.
»Die beiden sehen wir nicht wieder –.«, grummelt der
Alte, »– ich jedenfalls nicht!« Er hustet. »So will ich Euch
Unbekannten die Geschichte, wegen der ich jetzt hier
meinen Frieden mit Allah mache, so erzählen, wie sich
zugetragen.«
Er hat Mühe beim Sprechen, Speichel rinnt ihm vom
Mundwinkel, mit einem Faden hellen Bluts untermischt.
»Mag sein, Ihr, dessen Namen ich nicht kenne –.«
»Rik, Richard van de
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