Das Kreuz der Kinder
Bovenkamp!« beeilt sich der junge
Ritter die Auskunft zu geben.
»– daß Ihr, Rik, die Ereignisse zu Palermo später etwas
anderes zu hören bekommt –.«
Er schaut irritiert zu dem Deutschen, der begonnen hat,
einen Schutzwall vor der Kaverne zu errichten, »– wenn
Ihr nicht zusammen mit mir erfrieren wollt, Rik« – der alte
Fuchs hat die Absicht seine Wohltäters erkannt –, »dann
schafft Ihr auch das Pferd hinein in diese Grotte der letzten
Zuflucht, damit seine warme Ausdünstung wenigstens
Euch am Leben erhält.« Er hustet wieder, sein Auswurf ist
rot gefärbt.
»Erzählt nur –.«, fordert Rik ihn auf, »wenn es Euch
nicht zu sehr anstrengt, ich höre Euch zu!« In der Tat
verursacht das Aufeinandertürmen der Schneebatzen kaum
Lärm, nur das Pferd wiehert leise und äpfelt auf die Füße
des Liegenden.
»Am Hofe des Staufers zu Palermo«, beginnt der, »hatte
die Inquisition der Christenkirche mich, den Muslim
Murad ›el Mu’allim‹ schon lange im Verdacht, ich würde
meine herausragende Stellung als ›ustaht al malik‹ dazu
benutzen, den Knaben Friedrich dem Islam
näherzubringen – was ja durchaus der Fall war, zumindest
lehrte ich als ›Erzieher des Königs‹ meinen Schüler die
Toleranz der Lehre des Propheten.«
Er lächelt unter Schmerzen. »Gebt mir etwas Wasser,
Rik«, bittet er, um dann keuchend fortzufahren. »Als sich
unser König entschloß, sich nun auch die deutsche Krone
zu holen, wünschte die Königin, Constanze von Aragon,
ihm einen Talisman mit auf den gefährlichen Ritt zu
geben, gleichzeitig einen Pfand ihrer unverbrüchlichen
Liebe und Treue. Sie schickte ihre jüngste, aber
vertrauteste Hofdame Elgaine d’Hautpoul zu Lofti, dem
Hofjuwelier, damit der einen Ring anfertige. Für den Text,
es sollte ein arabischer sein, bat sie mich um Rat, und ich
verfaßte mit Freuden zwei kurze Zeilen, die von der
schönen, stolzen Falknerin handelten, die ihren
Lieblingsfalken ausschickt und bebend hofft, daß er
unverletzt mit dem seltenen Fang zu ihr zurückgeflogen
kommt. Ich schrieb Elgaine den Vers nieder und war sehr
stolz solcherart meinem trefflichen Herrscherpaar dienen
zu können.«
Schmerzverzerrten Gesichts versucht der ›Mu’allim‹ den
Kopf zu heben, um das Fortschreiten des Mauerbaus zu
erkennen, der weiße Wall ist jetzt schon stellenweise
hüfthoch geraten. »Doch zur gleichen Zeit wurde ich auch
gewahr, daß mein Einfluß auf Friedrich zu schwinden
begann, immer weniger suchte er das Gespräch mit mir –
.«, der Mu’allim seufzt tief, »dann wurde mir von
kirchlicher Seite angedeutet, daß man meine Dienste,
sobald Friedrich nun auch zum König der Deutschen
gekürt werde, nicht mehr dulden wolle, ein islamischer
›Ustath al-Malik‹ in des Königs nächster Umgebung,
würde dem Volk jenseits der Meerenge von Messina sehr
übel aufstoßen! Es sei schon schlimm genug, daß sich der
junge Herrscher weder vom maurischen Harem trennen
wolle noch von seinen Sarazenen als Leibwächter!«
Der Mu’allim winkt Rik zu sich herab, das laute
Sprechen strengt ihn an. »Die Enttäuschung machte mich
bitter«, flüstert er, »rachsüchtig nicht gegen Friedrich, den
freien Geist, den ich erzogen hatte, sondern gegen die
engstirnige ›ecclesia christiana‹, die neben ihrer
frevlerischen Doktrin nichts dulden wollte!«
Er nimmt einen Schluck aus dem Beutel, den Rik ihm an
die Lippen hält. »Ich begab mich heimlich zu Lofti, dem
Juwelier und Goldschmied, und überreichte ihm für die
vorgesehene Eingravierung in den Glücksring einen völlig
neuen Text, den ich mit viel Bedacht dem Koran
entnommen hatte –.« Murad schließt erschöpft die Augen
und schweigt.
Rik hat zwar zugehört, aber vor allem ist er mit der
Fertigstellung der Eismauer beschäftigt, die er mehr und
mehr nach innen kragen läßt. Die Sonne beginnt sich
glutrot zu färben – ein kalter Wind kommt auf. Rik führt
sein Pferd hinter den schützenden Wall.
In der Bibliothek von Mahdia hatte Rik, der Erzähler, ein
Einsehen mit dem sich ostentativ die Schreibhand
blasenden Daniel, vom Mussa’ad der Madame Blanche
zum Frondienst eines Katib basit, eines gewöhnlichen
Schreibers, degradiert. Rik legte großzügig eine Pause ein,
zumal jetzt eine Strecke vor ihm lag, die er nur vom
Hörensagen kannte, von bruchstückhaften Andeutungen,
die sich sein Freund Oliver, vor allem aber Elgaine, später
aus der Nase ziehen ließen. Rik mußte also erst
Weitere Kostenlose Bücher