Das Kreuz des Südens - Exodus aus Europa. Ein Zukunftsroman
hatten die meisten verdutzte Grimassen geschnitten, hilflose Visagen, die Ratlosigkeit und Überraschung widerspiegelten. Aber eigentlich war jedem schnell klar, was zu tun war: „Hauptmaschine stoppen, aber Z Z – ziemlich zügig! Wird’s bald!“ gab Holger Krug den Befehl, eine ernste und scheinbar strenge Miene auflegend, vergleichbar einer Maske, die er sich überzustreifen suchte, ohne dabei jedoch sein immerwährendes Lächeln mit den Augen ganz unterbinden zu können.
Alles eilte ein Deck tiefer. Voran stapfte der Zweite Ingenieur, welcher sich jetzt, so vollständig überzogen von einer Schicht Schweröl – einzig das Gesicht war ausgespart geblieben -, wie ein russischer Schwarzbär ausnahm, wobei seine imposante Erscheinung mehr noch an einen stattlichen Grizzlybären denken ließ. Als sie sich der Stelle näherten, wo sich augenscheinlich das Leck in der Kraftstoffleitung befand, mußten sie feststellen, daß immer noch heißes Öl an dem Flansch hervorquoll und dampfend an demselben hinunterlief, wiewohl es nicht mehr meterweit spritzte, da die Hauptmaschine derweil gestoppt und die Sperrventile geschlossen worden waren. Dennoch waren die Spuren unübersehbar: alles im Umkreis von vier bis fünf Klaftern war schwarz; bedeckt mit dem ausgetretenen Schweröl, das erhitzt eine sehr flüssige Konsistenz aufweist, während es, ist es erst einmal abgekühlt, zähflüssig wie Honig wird. Drei Decks waren betroffen.
Sofort begannen die Männer damit, den defekten, allem Anschein nach an mehreren Stellen gerissenen Flansch abzuschrauben, und stellten große Bottiche unter die betreffende Stelle, die immer noch gewaltig leckte, so daß die Auffangbehälter im Akkord ausgeschöpft und umgefüllt werden mußten, um mit dem stetigen Ölfluß mithalten zu können. Als die Öler dem Zweiten Ingenieur meldeten, es sei kein passendes Ersatzteil aufzutreiben, ordnete er mit hochrotem Kopf an, nach dem Fitter (Zerspanungsmechaniker) zu schicken, der so schnell als möglich einen behelfsmäßigen Ersatz anfertigen sollte.
Für das Aufwischen der Schweinerei wurden zwei Matrosen von Deck zu Hilfe gerufen, die für diese Arbeit dem Chief unterstellt wurden. Dieser ging, nachdem er sich das Malheur angesehen hatte, mit seinen Sandalen im Maschinenkontrollraum auf und ab und sann darüber nach, wie das Problem am besten zu beheben und die Verspätung aus der Welt zu schaffen sei. Alles mußte jetzt ganz schnell gehen, denn man hatte einen Zeitplan einzuhalten – es war schließlich schon halb vier am Nachmittag. Um acht Uhr abends sollte die „Samantha II“ schon in der Gegend um Plymouth vor Anker liegen, um ihre letzten Fahrgäste einzusammeln. „Alles hängt jetzt vom Fitter ab“, überlegte Holger Krug und schnäuzte sich unwillkürlich bei dieser Feststellung, denn er mochte es gar nicht, wenn er die Geschicke des Schiffes in die Hände anderer legen mußte – zumindest, wenn es Probleme mit den Maschinen gab.
Es war schon drollig mitanzusehen, wie der einen Meter und dreiundsechzig große Mann, der in kurzen Hosen durch „die Maschine“ schlenderte, dabei statt der vorgeschriebenen Sicherheitsschuhe Birkenstock-Sandalen und weiße Tennissocken tragend, unruhig wurde, sich den Bart raufte und nervös mit den kleinen Augen blinzelte. Sonst ging er sehr gelassen umher, ließ seinen fröhlichen Blick bald hierhin, bald dorthin schweifen. Dabei hatte er stets die Arme hinter dem Rücken verschränkt, ging leicht vornübergebeugt – wie ein in die Tage gekommener Feldherr – ,und seine O-Beine wurden durch das gewohnheitsmäßige Tragen von kurzen Hosen noch betont. Hin und wieder grüßte er die Öler und Ingenieure, die ihm an diesem Tag zum ersten Mal begegneten, mit einer lässigen Handbewegung und richtete eine scherzhafte Bemerkung an sie. Er war für die „Heizer“ wie für den Rest der Schiffsbesatzung gleichsam ein Quell der Heiterkeit. Doch jetzt bot sein Anblick eher Anlaß zur Besorgnis, denn es lag ein Ausdruck von innerer Unruhe und Anspannung auf seinem Gesicht.
Krug war es wie eine halbe Ewigkeit vorgekommen, bis der Fitter im „Keller“ erschien, die Arbeit am Flansch und damit den Kampf gegen die Zeit aufzunehmen.
Etwa zur selben Zeit saßen Mrs. Sheffield, deren Freundin Mrs. Hopkins, eine ebenfalls betagte Dame, Iain MacGregor und seine Lebensgefährtin Francis Boyle bei einem Ale – Francis trank Lager – im „Black Bull“-Pub eines kleinen Örtchens nahe der Küste in der
Weitere Kostenlose Bücher