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Das Kreuz des Zitronenkraemers

Das Kreuz des Zitronenkraemers

Titel: Das Kreuz des Zitronenkraemers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Bonerz , Johanna Kirchen
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hätte. Sie ließ sich von Karin in die laufenden Projekte einweisen und wunderte sich selbst, wie gut sie sich konzentrieren konnte. Ihre Arbeit machte Anne eigentlich Spaß und sie freute sich regelrecht auf ihre Aufgaben. Wahrscheinlich konnte sie sich hier sogar besser entspannen als allein zu Hause. Sie versuchte nicht ständig an Andreas, Claire und den Entführer zu denken und zeitweise klappte es sogar.
    Auch Hannes wollte heute arbeiten. Seine Hilfe Peter war ihm regelrecht aufs Dach gestiegen. Für ihn allein war die Arbeit im Weingut nicht zu bewältigen. Außerdem war es ja Hannes Geschäft. Und selbst die hundertste Suche nach Andreas im Revier hätte vermutlich genauso viel ergeben wie alle anderen vorher.
    Anne schaute auf die Uhr. Schon nach halb zehn? Jetzt hätte sie doch fast die Kaffeepause vergessen. In der kleinen Küche der Agentur saßen zwei ihrer Kollegen bei ihrem zweiten Frühstück. Anne wurde dazu eingeladen und entschied sich für einen leckeren Capuccino-Croissant zu ihrem Kaffee.
    „Magst du einen Teil?“, fragte Jürgen kauend und reichte ihr ein paar Blätter des Trierischen Volksfreunds. Die Zeitung las Anne eigentlich nur auf der Arbeit, zu Hause hatte sie keine. „Gern“, mampfte sie daher und begutachtete zunächst mal ihr aktuelles Tageshoroskop. Sie hatte die letzten Seiten der Zeitung bekommen und würde also die heutige Ausgabe von hinten aufrollen müssen. Ihr Horoskop versprach ihr frischen Wind in einer alten Freundschaft und forderte sie auf, ihren eingeschlagenen Weg beharrlich weiter zu verfolgen. Ob mit der alten Freundschaft wohl Hannes gemeint war? Und ihr eingeschlagener Weg der war, die Beziehung zu Hannes als reine Freundschaft zu belassen? Wie auch immer, auf ihre Gesundheit sollte sie auch noch verstärkt achten. Na gut.
    Anne blätterte zurück, beziehungsweise vor. Sie fand zwei komplette Seiten voller Todesanzeigen. Komische Angewohnheit, dachte Anne noch, als sie bereits Anzeige für Anzeige studierte.
    Schon immer hatte Anne die Todesanzeigen gelesen. „Erschreckend, wie viel junge Menschen immer in der Zeitung stehen“, murmelte sie ihren Kollegen zu und las vom Tode zweier Menschen, die noch ein paar Jahre jünger gewesen waren als sie selbst. „Seht doch mal“, Anne hielt den beiden Männern die Anzeigen vor die Nase. „Das sind bestimmt die von dem Autounfall am Wochenende. Auf der B51. Hab gerade den entsprechenden Artikel in den Lokalseiten gelesen. Kannste gleich haben“, bemerkte Jürgen teilnahmslos und biss in sein Marmeladenhörnchen. „Schon wieder auf der Bitburger“, meinte Reimund, „da kracht es doch ständig. Wirklich schlimm.“ Auch Reimund studierte nun die Anzeigen. „Sieh mal Anne“, er deutete auf eine kleine schmale Anzeige am unteren Rand des Blattes, „so alt sollten Menschen werden. Geboren 1910, gestorben 2006. Macht 96 Jahre. Wahnsinn, oder?“ Reimund geriet ins Schwärmen. „Das ist doch ein schönes Alter zum Sterben. Was die Frau wohl alles so erlebt hat? Fast ein ganzes Jahrhundert war sie dabei. Sozusagen live und in Farbe. Stellt euch doch mal vor: Kaiser Wilhelm“, er unterbrach seinen Vortrag und hob den Kopf fragend in die Runde, „oder war der da schon Geschichte?“ Reimund kratzte sich demonstrativ sein fast haarloses Haupt. „Muss ich mal nachschauen … Na ja, auf jeden Fall Weimarer Republik. Erster Weltkrieg. Hitlers Machtübernahme. Zweiter Weltkrieg. DDR, Mauerfall … “ Anne hörte schon länger nicht mehr zu. Sie starrte die kleine Anzeige an. Der Bissen Croissant war ihr im Hals stecken geblieben. Die Worte von Reimund hallten in ihrem Kopf wie ein weit entferntes Echo. „Darf ich die Seite bitte mitnehmen?“ Anne wartete die Antwort nicht ab, riss das Blatt an sich und versteckte sich damit in ihrem Büro.
    Ausgebreitet auf dem Schreibtisch sah sie nichts anderes mehr als diese Todesanzeige. Die Buchstaben begannen schon in ihren Augen zu verschwimmen. Was sollte sie jetzt tun? Tausend Gedanken suchten auf einmal den Weg in Annes Hirn.
     
    *
     
    Innerlich total zerstreut saß Hannes immer noch in seiner Schlafmontur am Mittagstisch. Am Morgen hatte er endlich mal einen Teil seines Papierkrames erledigt, der seit Wochen überfällig war. Konzentriert hatte er sich dabei nicht wirklich. In den Weinberg konnte er sich unmöglich bewegen. Was sollte er nur tun? Claire hatte immer noch nichts vom Entführer gehört und Anne hatte heute wieder ihren ersten Arbeitstag. Peter lag ihm mit

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