Das Kreuz des Zitronenkraemers
als würde ihm sonst sein verdientes Geld wieder abgenommen.
Die drei Caroves hatten beschlossen, nicht in einem Zimmer der Herberge zu übernachten, sie wollten sich ihre Bettstatt nicht mit Ratten und Wanzen auf altem und stinkendem Stroh teilen. Sie würden in der Scheune bei ihren Wagen schlafen.
Der nächste Morgen begrüßte sie wolkenverhangen. Als sie kurz nach Verlassen des Ortes durch eine schmale Talenge kamen, begann es zu nieseln. Die dunkelgrauen und massiven Mauern einer Burg mitten im Fels ließen Ambrosius schaudern. „Diese Talenge wird Porta genannt, sie ist das Tor zum Majolapass und wird seit Menschengedenken von dieser alten Burg bewacht“, beruhigte Ambros seinen Neffen. „Du musst dich nicht fürchten, einfache Handelsreisende wie wir werden in Ruhe gelassen.“
Nach den ersten Meilen wusste Ambrosius, was es hieß, bergauf zu reisen. Bald keuchten die starken und schweren Pferde, ihr Fell war nass vor Schweiß und zwischen den Hinterbeinen zeigten sich weiße Schaumberge. Sie machten eine kurze Rast unter hohen Lärchen und warteten einen Regenschauer ab. Der Himmel klärte sich auf. Als sie wieder aus dem Schatten der Bäume traten, erblickte Ambrosius den höchsten Berg, den er je gesehen hatte. Sein schneeverhangener Gipfel ragte majestätisch über den andern Alpenriesen empor. Von seinem Onkel erfuhr der Junge, dass dieser Berg Monte Badile genannte wurde, oder, wie die Menschen hier sagten, Piz Badile.
Der Aufstieg wollte kein Ende nehmen. Felsen und Steine verhinderten mehrfach das Weiterkommen, und Ambrosius schuftete wie die anderen, um den Weg frei zu machen. Ambrosius verlor trotz allem seine gute Laune nicht. Er strahlte, als er ein paar Steinböcke sah, wunderte sich nach jeder Windung des Pfads über neue Gipfel und konnte es kaum erwarten, die Passhöhe zu erreichen. An der Westseite fielen die Felsen steil bergab und Ambrosius traute sich kaum runter zu schauen. Er betete zu Jesus und versprach, im Dom zu Trier eine Kerze zu stiften, wenn er ihn und die seinen nicht dort hinabstürzen ließe. Der steinige Weg zog sich dahin und wollte kein Ende nehmen. Immer weiter ging es steil bergauf und die Pferde brauchten zur Mittagzeit eine längere Rast. Gras in dieser Höhe war spärlich zu finden, und Ambrosius gab den tapferen Tieren eine kleine Ration Gerste aus dem Sack. Aus einer Bergquelle füllte er dreimal den Eimer mit frischem Wasser und setzte sich dann selber zur Ruhe. Gott sei Dank hatte der Regen aufgehört.
Ambrosius erwachte durch näher kommendes Hufgetrappel und dem Geräusch eines rumpelnden Wagens. „Guten Tag“, grüßte ein elegant gekleideter Herr von seinem Kutschbock herab. Er stellte sich als Giovanni Cambrese vor, Tuchhändler und auf dem Weg nach Mailand. Er sprang von seinem Wagen und setzte sich zu den Caroves. „Matteo“, rief er laut und ein Junge, kaum älter als Ambrosius, kletterte vom hinteren Teil des Wagens. „Hol uns eine Flasche Wein!“ „Mein Geselle“, erläuterte Herr Cambrese, „fix im Kopf aber faul wie Kuhdung.“
Matteo brachte den Wein. Sie aßen zusammen den Rest von Brot und Käse, der Tuchhändler zauberte dazu etwas kalten, gebratenen Fasan aus seinem Vorrat hervor und die Caroves erfuhren Neuigkeiten von der anderen Seite der Alpen. „Ihr solltet Euch ab Chur anderen Reisenden anschließen“, empfahl er. „Das Land bis nach Basel ist von Unruhen erschüttert. Der katholische Bischof von Chur will nicht weichen, obwohl die meisten seiner Landsleute bereits Lutheraner sind. Überall gibt es Streitigkeiten. Haltet Euch am besten davon fern. In einer Gruppe seid Ihr auf jeden Fall sicherer, Wegelagerer und Banden nutzen die Umstände aus und treiben ihr Unwesen an den Handelswegen.“
Die Caroves bedankten sich und Ambrosius wurde angst und bange. Der Geselle grinste abfällig, als er sein ängstliches Gesicht sah und Ambrosius setze sofort eine ernste und stolze Miene auf.
Endlich fuhren sie weiter. Nach ein paar Meilen hatte Ambrosius das Gefühl, der Weg würde flacher. Bald reisten sie bergab. Sie hatten die Passhöhe überwunden. Es dämmerte bereits, als Ambrosius weiter unten ein Dorf erblickte. Dort würden sie die Nacht verbringen. Es war das Dorf Majola, dem der Pass seinen Namen verdankte.
Kapitel 4
Es war schon nach Mitternacht, als Anne endlich den Wagen auf ihrem gemieteten Parkplatz abstellte. Keine Menschenseele schien außer ihr sonst noch unterwegs zu sein, die Nacht wirkte unheimlich.
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