Das Kreuz des Zitronenkraemers
„Wir haben Glück, dass er noch in der Stadt ist. Er führt Handelsreisende in Gruppen von hier bis nach Basel. Wir werden uns ihm anschließen, er sorgt für Überwachung und Sicherheit. Das ist den Preis wert, den er dafür verlangt.“
Vorbei an den großen Zunfthäusern und protzigen Bauwerken reicher Bürger verließen sie den Marktplatz in Richtung Norden. Der Plessur zog still und träge dahin. Der Fluss stank bestialisch. Der gesamte Dreck und Abfall der Stadt schien sich darin zu sammeln.
Ambrosius war froh, als sie dem Uferweg den Rücken zudrehten und durch das Gewirr von kleinen Steinhäusern und Holzbaracken endlich das nördliche Stadttor erkennen konnten.
Die Mauerwache würdigte die drei mit ihren Karren keines Blickes, als sie das Tor passierten und der ausgefahrenen Straße stadtauswärts folgten. In diese Richtung reiste zu dieser Stunde sonst niemand. Die Abenddämmerung würde nicht mehr lange auf sich warten lassen, und die meisten Menschen, Händler oder Einheimische wollten das Innere der Stadtmauern erreichen, bevor die Tore für die Nacht geschlossen wurden. Ambrosius und seine Familie aber atmeten lieber den frischen Duft der Natur und waren froh, der Menschmenge entronnen zu sein. Sie würden nicht weit von hier ihr Lager aufschlagen. An einem kleinen Bach hinter einer Wegbiegung machten sie halt. Ambrosius suchte trockene Äste und Zweige für das Feuer, während Onkel und Vater eine Plane zwischen die zwei Karren spannten. Nachdem das Feuer endlich knisternd die ersten kleinen Holzscheite fraß und die Pferde versorgt waren, saßen sie zufrieden an ihrem Lager. In einem Topf kochte schon bald das Wasser und Vater rührte die darin gluckernden Rüben. Er hatte sie auf dem Markt in Chur gegen zwei Zitronen getauscht.
Ambrosius hatte einen riesigen Hunger. „Morgen treffen wir uns in aller Frühe mit Borse vor dem Nordtor.“ Ambrosius konnte von ihrem Lagerplatz die Mauern von Chur noch erkennen und folgte mit den Augen dem ausgestreckten Arm seines Vaters, der in Richtung der Stadt wies. „Wir hatten Glück. Erst wollte er niemanden mehr mitnehmen, zu viele hatten sich schon eingeschrieben.“ Der Vater ließ mit einem Schrei die Kelle fallen, aus der er einen Schluck der kochenden Suppe probieren wollte. „Verdammt“, stöhnte er und leckte sich die Lippen. „Auf jeden Fall, wir hatten Glück.“ „Nun spanne uns nicht länger auf die Folter, warum nimmt er uns jetzt doch mit?“ Onkel Ambros wurde langsam ungeduldig.
„Der Mann hinter mir in der Reihe hatte seine Einschreibung wieder abgesagt. Sein Handelspartner hat ihn versetzt. Seit zwei Tagen wartete er schon auf eine Lieferung Färbestoffe. Er war sehr wütend, vermutlich ist der Kerl mit all seinem Geld durchgebrannt….“ Thomas versuchte erneut die Suppe, diesmal vorsichtiger. „Ich glaube, wir können jetzt essen, reicht mir eure Schalen.“
Ambrosius sprach ein Dankgebet und die drei löffelten leise vor sich hin.
„Aber des einen Pech ist des anderen Glück“, fuhr Thomas fort. „So haben wir den frei gewordenen Platz bekommen.“ Nach dem Essen spülte Ambrosius die Schalen im Wasser des klaren Baches ab, und alle drei wickelten sich müde in ihre Decken und legten sich unter die Plane. Ambrosius hörte schon bald das beruhigende Schnarchen von Vater und Onkel. Er rollte sich auf die Seite und fiel in einen traumlosen Schlaf.
„Hey ihr!“ Borse brüllte wie ein wilder Ochse: „Reiht euch gefälligst ein.“ Er galoppierte auf einem riesigen schwarzen Hengst an der Wagenkarawane vorbei und trieb all jene zur Eile an, die noch immer nicht mit all ihrer Habe in Reih und Glied standen. Die Caroves waren die letzten in der Reihe aus 18 Wagen und Karren, die sich zusammen auf den Weg nach Basel machen wollten. Ambrosius hatte sie gezählt. In ihrem Rücken ritten drei von Borses Männern, um den Reisenden Schutz vor Angriffen von hinten zu gewähren. Trotzdem wäre Ambrosius lieber in der Mitte der Wagenschlange gereist, dort war es am Sichersten, aber sie konnten ja froh sein, überhaupt noch einen Platz bekommen zu haben. Die Karawane hatte sich vor dem Nordtor der Stadt Chur aufgestellt. Endlich schien es loszugehen. Die Wagen vor ihnen setzten sich schleppend in Bewegung.
Früh am Morgen war Thomas nochmals zum Marktplatz geritten und hatte Vorräte für die Reise besorgt. Ausgestattet mit zwei mageren gackernden Hähnen in einer Holzkiste, Gemüse, einem Dutzend Eiern, Rüben, einer ganzen
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