Das Kreuz des Zitronenkraemers
gar nicht, wenn man dabei ein solches Teufelswerkzeug benutzen musste. Sein Arm und seine Schulter schmerzten immer noch schlimm, doch er nahm sich vor, dies tapfer als Buße für seine Untat anzunehmen.
Heute würden sie nicht mehr weiterreisen. Ambrosius schleppte gedankenverloren zwei Eimer mit Wasser für die Pferde vom Bach, als er fast gegen die Brust des Mannes lief. „Hast du keine Augen im Kopf?“ Der Junge ließ vor Schreck einen Eimer fallen und flehte Gott an, im Erdboden versinken zu dürfen. Vor ihm stand Borse. „Ich habe dich gesucht.“
„Es war nicht Lorenzos Schuld. Ich wollte unbedingt … “ Ambrosius kaum hörbares Gestammel wurde unwirsch von dem hünenhaften Karawanenführer unterbrochen. „Was faselst du da? Ich habe für solchen Unsinn keine Zeit. Dein Vater und Onkel haben mir versichert, dass du ein kluger Bursche sein sollst. Also, was ist, willst du dir einen Florentiner verdienen?“
„Einen Florentiner?“ Ambrosius wusste nicht, wie ihm geschah, er musste wohl immer noch einen dämlichen Eindruck auf Borse machen. Denn dieser sah ihn prüfend und zweifelnd von oben herab an. „Du kannst doch Lesen und Schreiben, oder nicht?“ „Lesen und Schreiben?“, stotterte Ambrosius. „Hat dein Vater behauptet, als wir in Luzern waren.“ Ambrosius wurde endlich bewusst, dass Borse nicht wegen der Schießerei bei ihm war und versuchte, einen stolzen und mannhaften Gesichtsausdruck aufzusetzen. „Natürlich kann ich lesen und schreiben, rechnen kann ich auch gut, schließlich will ich Kaufmann werden …“ „Schon gut, schon gut.“ Borse wurde wieder ungeduldig. „Die Tochter meines Bruders reist mit uns. Mein Bruder und seine Frau sind tot. Getötet von Lutheranern. Sie hat niemanden mehr, noch nicht mal eine Tante, die sie auf dieser Reise begleiten kann, wie es sich für gute Christenmenschen gehört. Ich kann sie nicht nehmen, mein Leben ist nichts für ein Mädchen. Also reist sie nach Trier um dort im Benediktinerkloster aufgenommen zu werden. Dazu muss sie lesen und schreiben können.“ Borse strich sich nachdenklich über den Bart. „Warum soll ein Weib lesen können, hä? Wenn der Allmächtige das gewollt hätte, hätte er es ihnen schon beigebracht, oder etwa nicht?“ „Äh“, Ambrosius wusste darauf keine bessere Antwort, „aber mir hat es auch Onkel Ambros beigebracht und nicht …“
„Red nicht dazwischen, wenn dich keiner fragt. Also, sind wir im Geschäft?“ Der Lagerführer sah Ambrosius erwartungsvoll an. „Im Geschäft?“ Ambrosius verstand immer noch nicht.
„Du wirst Giulia während der Reise das Lesen und Schreiben beibringen und ab Basel auf sie aufpassen, denn von dort an werdet ihr wieder auf euch allein gestellt sein. Ich werde dann den Weg zurückreisen. Lieferst du sie in Trier in St. Irminen ab und sie hat genug gelernt, um angenommen zu werden, dann wird mir die Äbtissin eine Depesche zukommen lassen. Und du wirst einen Goldflorentiner erhalten. Wenn du einverstanden bist, meldest du dich bei Sonnenuntergang am vordersten Wagen.“
Mit diesen Worten ließ Borse den verblüfften Ambrosius stehen und stapfte in seinen mit Schlamm bespritzten Stiefeln von dannen.
Ambrosius ließ sich die Worte mehrmals durch den Kopf gehen. Dann machte er einen Freudensprung und jubelte über sein Glück. Einen Goldflorentiner. Und das für eine Aufgabe, die ihm sicher große Freude bereiten würde. Schnell fischte er die Eimer vom Boden, rannte zurück zum Bach, um sie erneut mit Wasser zu füllen und lief so schnell er konnte, ohne das ganze Wasser wieder zu verschütten, zurück zu ihren Wagen.
Der Onkel erwartete ihn schon. „Hat Borse dich gefunden?“
„Ja, heute Abend gehe ich hin“, berichtete Ambrosius stolz und tränkte dabei die Pferde. „Onkel, was ich schon immer mal wissen wollte, woraus besteht eigentlich Schießpulver?“
Onkel Ambros musste nicht lange überlegen: „Aus einem Gemisch aus etwa vier Teilen Salpeter auf einen Teil Holzkohle und einen Teil Schwefel. Warum fragst du?“
„Ach nur so.“ Ambrosius pfiff vor sich hin und suchte einen Striegel für die Pferde. In Gedanken malte er sich aus, wie Giulia wohl aussehen würde.
Kapitel 5
Den halben Dienstag verbrachte Anne im Bett. Toller Urlaub! Aber eigentlich wollte sie ja auch nur zur Ruhe kommen. Leichter gesagt, als getan. Rastlos rollte sie sich von einer Seite auf die andere und verschanzte sich irgendwann mit ihrem Buch auf der Couch. Sie schaute
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