Das Kreuz des Zitronenkraemers
seine angegriffenen Nerven. Im unteren Teil der Lichtung äste gemütlich eine Ricke mit ihrem Kitz. Sie hatte den Jäger dank des leichten Ostwindes nicht bemerkt. Hannes suchte mit dem Fernglas die restliche Wiese ab. Ob wohl noch ein Schmalreh dabeistand? Nein. Dafür schnürte ein starker Fuchs über die frisch gemähte Wiese. Er war wohl auf der Pirsch nach Mäusen, die im kurzen Gras leicht zu erbeuten waren. Hannes ließ ihn laufen und erfreute sich des Anblicks. Im Winter würde er einen prächtigen Balg liefern und momentan war es ihm sowieso zuwider, Altfüchse zu schießen, da sie gerade ihre Jungen aufzogen.
Wolken schoben sich vor den Mond und die Lichtung versank im Schatten. Hannes döste vor sich hin, eingelullt vom sanften Rascheln der Blätter im Wind und dem Murmeln des Baches.
Plötzlich sprang Paula auf die Bank und grummelte leise. Hannes tätschelte ihr leicht den Kopf. Ob Sauen unterwegs waren? Er hörte ein leises Knacken und griff sofort nach dem Fernglas. Aufgeregt führte er das Glas an die Augen und starrte auf den starken Wildwechsel aus der Weidendickung. Nichts zu sehen. Es knackte wieder. Allerdings am Waldrand rechts der Weiden. Angestrengt spähte Hannes in diese Richtung. Paula hatte sich wieder unter der Bank verkrochen. „Wie, doch keine Sauen?“, murmelte Hannes enttäuscht mit einem Blick auf seine Hündin. Blieb sie doch sonst immer aufrecht neben ihm sitzen, sobald sich Schwarzwild näherte. Ein leises Tappen war zu hören. Paula rührte sich nicht. Seltsam!
Hannes blickte wieder durchs Glas und da sah er sie deutlich, keine zwanzig Meter entfernt am Wegesrand stehen - die Fliegerlady aus der Pralinenwerbung!
Ambrosius Carove Teil II
Ein solches Treiben hatte Ambrosius noch nie gesehen. Sie zwängten sich durch den Marktplatz von Chur. Die Händler schrieen sich gegenseitig nieder. Der Lärm war unvorstellbar. Wagen, Karren, Tiere und Menschen. Ambrosius klammerte sich an die Zügel des Pferdes. Sie waren vom Kutschbock abgestiegen und führten die verängstigten Tiere über den Platz. Ambrosius versuchte seinen Vater vor ihm im Auge zu behalten und schaute sich gleichzeitig ständig nach Onkel Ambros um. Der lief hinter den Karren her und passte auf, dass Ambrosius in all dem Wirrwarr nicht verloren ging.
Polternd wurde er über den Haufen gerissen. Erstaunt starrte er den schmutzigen Bettler an, der mühsam versuchte, sich aus dem Getümmel von Armen und Beinen wieder hochzubringen. Verzweifelt fischte er nach dem Laib Brot, welches ihm aus den Händen gerutscht war. Ambrosius sah in die vor Angst geweiteten Augen des alten Mannes. Endlich hatte er es geschafft und rannte mit seinem Brot davon, als wäre der Leibhaftige hinter ihm her. Der Mann war bereits im Menschengewimmel verschwunden, als der Tumult erst richtig losging. Die Verfolger stürmten dem armen Wicht mit lautem Geschrei, Beilen und Fleischermessern hinterher. Ambrosius war endlich wieder auf die Beine gekommen und schlug sich den Straßenstaub aus den Kleidern. Er wünschte dem Bettler Glück. Auch wenn er natürlich für Diebe nichts übrig haben durfte, der alte Mann mit dem grauen Gesicht und den ausgehöhlten Wangen tat ihm leid.
„Ambrosius, ist dir was passiert?“ Sein Onkel war bei ihm und beruhigte das Pferd. „Nein, es ist alles gut“, beschwichtigte Ambrosius. „Ich kann ihn wieder nehmen.“ Er nahm den Zügel des Pferdes fest in die Hand. „Dann lass uns weitergehen.“
Sie drängten sich vorbei an Ständen mit Gewürzen, die Ambrosius nicht kannte, an Obst und Gemüse in allen Sorten. Tischler und Sattler boten ihre Waren feil, ein Kesselflicker bot seine Dienste an und Ambrosius bestaunte die Kunst eines jungen Gauklers, der mit fünf bunten Bällen jonglierte. „Komm endlich weiter“, rief ihm sein Vater zu und der Junge riss sich widerwillig vom Anblick des Schaustellers los.
Er schnüffelte in die Luft und rümpfte die Nase. Sie zogen an den Fleischbänken vorbei. Berge von Fleisch, Wurst, Schinken und ganze Schweinsköpfe, die von abertausenden Fliegen umkreist wurden.
Bald hatten sie das Ende des Marktplatzes erreicht, und Ambrosius und sein Onkel warteten im Schatten eines Hauses mit Pferden und Wagen. Der Vater stellte sich in einer Menschenreihe an. Ambrosius konnte am Ende der Schlange einen kleinen Holztisch erkennen, an dem ein Mann in teurer Kleidung saß.
„Das dort vorn ist Johann Borse.“ Sein Onkel wies mit dem Finger auf den Mann hinter dem Tisch.
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