Das Kultur-Spiel
Balkonfenstern und blickte in die Nacht hinaus. Der Regen hatte aufgehört, die Wolken hatten sich gelichtet und zerstreut. Jetzt warf das Licht der Sterne und der vier Platten auf der anderen, das Gleichgewicht haltenden Seite des Chiark-Orbitals – drei Millionen Kilometer entfernt und mit den Oberflächen im Tageslicht – einen silbrigen Schein auf die vorüberziehenden Wolken und ließ das dunkle Wasser des Fjords glitzern.
Gurgeh stellte das Lesegerät an, drückte seinen kalibrierten Rand ein paar Mal, bis er die ihn interessierenden Veröffentlichungen fand, las dann eine Weile. Es waren Artikel über die Spieltheorie von anderen anerkannten Spielern, Besprechungen von einigen ihrer Spiele, Analysen neuer Spiele und viel versprechender Anfänger.
Später öffnete er die Fenster und trat auf den runden Balkon hinaus. Die kühle Nachtluft berührte seine nackte Haut, und er erschauerte ein bisschen. Er hatte sein Taschenterminal mitgenommen und hielt die Kälte eine Weile aus, sprach zu den dunklen Bäumen und dem schweigenden Fjord, diktierte einen neuen Artikel über alte Spiele.
Als er wieder hineinging, schlief Ren Myglan immer noch, atmete jedoch schnell und unregelmäßig. Fasziniert trat er näher, setzte sich auf den Bettrand und betrachtete gespannt ihr Gesicht, das im Schlaf zuckte und sich verzerrte. Der Atem bahnte sich mühsam einen Weg durch ihre Kehle und ihre zarte Nase, und ihre Nasenflügel zuckten.
Minutenlang blieb Gurgeh so hocken, einen seltsamen Ausdruck im Gesicht, der zwischen Hohn und einem traurigen Lächeln lag. Mit vager Frustration, sogar mit Bedauern fragte er sich, was für Albträume die junge Frau haben mochte, dass sie so zitterte und keuchte und wimmerte.
Die nächsten beiden Tage vergingen ohne besondere Ereignisse. Gurgeh verbrachte die meiste Zeit mit dem Lesen von Artikeln anderer Spieler und Theoretiker und beendete eine eigene Arbeit, die er in der Nacht, als Ren Myglan bei ihm geblieben war, angefangen hatte. Mit Ren war er am nächsten Morgen beim Frühstück in Streit geraten, und sie war gegangen; er arbeitete gern während des Frühstücks, sie hatte sich unterhalten wollen. Er vermutete, sie sei einfach gereizt gewesen, weil sie nicht gut geschlafen hatte.
Er erledigte einen Schwung Korrespondenz. Meistens handelte es sich um Aufforderungen, andere Welten zu besuchen, an großen Turnieren teilzunehmen, Artikel zu schreiben, Kommentare über neue Spiele abzugeben, Lehrer/Dozent/Professor an verschiedenen Bildungsanstalten zu werden, zu Gast auf einem von mehreren Systemfahrzeugen zu sein, sich dieses oder jenes Wunderkindes anzunehmen… es war eine lange Liste.
Er lehnte alles ab. Das hinterließ ein recht angenehmes Gefühl.
Ein Kontakt-Schiff behauptete in einer Mitteilung, eine Welt entdeckt zu haben, auf der es ein Spiel gebe, das auf der genauen Topographie individueller Schneeflocken beruhe, ein Spiel, das aus diesem Grund nie zweimal auf dem gleichen Brett gespielt werde. Von einem solchen Spiel hatte Gurgeh noch nie gehört, und er fand keine Erwähnung in den normalerweise auf dem neuesten Stand befindlichen Unterlagen, die Kontakt für Leute wie ihn zusammenstellte. Er hatte den Verdacht, es handele sich um einen Schwindel -Kontakt-Schiffe waren berüchtigt für derartige Witze –, schickte jedoch eine durchdachte und fachkundige, wenn auch ziemlich ironische Antwort, weil der Scherz, falls es ein Scherz war, ihn ansprach.
Er sah einem Wettkampf von Segelflugzeugen über den Bergen und Klippen auf der anderen Seite des Fjords zu.
Er schaltete den Haus-Holoschirm ein und sah sich eine Folge einer neuen Serie an, von der man ihm erzählt hatte. Darin ging es um einen Planeten, dessen Bewohner intelligente Gletscher und ihre Eisberg-Kinder waren. Gurgeh hatte erwartet, die Absurdität werde ihn abstoßen, fand es jedoch ganz amüsant. Er entwarf ein Gletscherspiel, das darauf beruhte, welche Mineralien aus den Felsen gedrückt, welche Berge zerstört, welche Flüsse eingedämmt, welche Landschaften geschaffen und Buchten blockiert werden würden, wenn die Gletscher wie in der Serie Teile von sich nach Lust und Laune verflüssigen und wieder einfrieren könnten. Das Spiel war durchaus unterhaltend, hatte jedoch nichts Originelles. Nach etwa einer Stunde ließ er es liegen.
Einen großen Teil des nächsten Tages verbrachte er mit Schwimmen im Keller-Pool Ikrohs. Wenn er sich auf dem Rücken treiben ließ, diktierte er dabei; sein Taschenterminal
Weitere Kostenlose Bücher