Das Kumo-Kartell
Unterlagen analysieren, desto größer unsere Chancen, ihr vielleicht noch zuvorzukommen. Falls Kumo nicht auch in New York lebt. Also kommen Sie so schnell wie möglich her.«
Cotton schnappte sich die Tasche und ging mit den anderen zu ihrem Wagen zurück. Er kam sich vor wie ein Trottel, weil Yuki ihnen entkommen war. Hilflos. Ein widerliches Gefühl. Umso entschlossener war er, Yuki zur Strecke zu bringen. Koste es, was es wolle.
9
Yuki war und blieb verschwunden. Cotton hatte die ganze Nacht zusammen mit Decker, Quinn und Zeerookah in dessen Arbeitsraum verbracht und zahllose Aufzeichnungen von Überwachungskameras durchgesehen. Auf keiner war Yuki aufgetaucht. Quinn vermutete, dass sie irgendwo im Parkhaus eine ihrer Verkleidungen versteckt hatte, wahrscheinlich in dem Bereich auf der zweiten Ebene, wo die defekte Kamera hing. Dort hatte sie sich als eine andere Person getarnt und war in dieser Verkleidung seelenruhig über den Durchgang zum Hotel verschwunden.
Eine ausführliche Analyse der Aufzeichnungen, ob irgendwo eine Person das Parkhaus oder Hotel verließ, die vorher nicht hineingegangen war, erforderte Zeit, die sie nicht hatten. Es würde auch nichts bringen, weil Yuki zu dem Zeitpunkt sonst wo sein konnte.
»Ich hab’s!«
Zeerookahs begeisterter Ausruf ließ alle zusammenfahren. Er griff zum Telefon und rief in Mr Highs Büro an. Kurz nach sechs Uhr morgens war der SAC schon im Dienst.
»Sir, ich habe Kumos Identität … ja, Sir.« Zeerookah unterbrach die Verbindung. »Er kommt.«
Ein halbe Minute später betrat Mr High den Raum. »Ich höre, Zeerookah.«
»Die Unterlagen, die Yuki uns zugespielt hat, enthalten eine Fülle von Informationen, mit denen wir tatsächlich alle Leute drankriegen können, die jemals mit dem Kartell zu tun hatten. Zumindest können wir sie allesamt identifizieren. Kumos Identität versteckt sich in den Dokumenten, die als ›Notfallplan‹ deklariert sind. Zwar hat jedes Kartellmitglied einen individuellen Plan erhalten mit Kontaktnummern und Kontaktadressen, die nicht bei allen dieselben sind, aber eine Anschrift taucht in jeder Akte auf. Sie war verschlüsselt, aber ich konnte die Verschlüsselung knacken und …«
»Den Namen, Zeerookah«, unterbrach High den Redefluss des IT-Spezialisten.
»Sam Rinooley. Ihm gehört die hinter verschlüsselten Koordinaten getarnte Anlaufadresse, ein Haus in der Nähe des Flughafens in Albany. Ich musste die Besitzverhältnisse über zig Strohfirmen zurückverfolgen, bis ich auf den Namen des Mannes gestoßen bin, der dahintersteckt. Sam Rinooley.« Er projizierte den Namen auf seinen Bildschirm.
»Ein ungewöhnlicher Name«, sagte Mr High.
»Es ist viel mehr als ein Name, Sir. Es ist ein Anagramm. Wenn Sie es aufschlüsseln, erhalten Sie diesen Namen.« Zeerookah verschob die Buchstaben auf dem Bildschirm, bis sie einen anderen Namen ergaben. Einen Namen, der schon einmal am Rande der Ermittlungen aufgetaucht war.
Mr High nickte. »Agents, ziehen Sie den Mann aus dem Verkehr. Falls Yuki es nicht schon getan hat.«
*
Hastig packte Simon O’Leary ein paar Sachen in einen Koffer. Der Koffer war klein, damit es nicht so aussah, als plante er, auf eine größere Reise zu gehen. Dabei hatte er nicht nur eine »größere« Reise vor, sondern eine, von der er nicht zurückkehren würde. Er hätte nicht so lange warten dürfen und eigentlich längst verschwinden müssen. Aber seine Verpflichtungen hatten den Zeitpunkt unerwartet verschoben.
Reumütig erkannte er, dass es besser gewesen wäre, diese Verpflichtungen gar nicht erst einzugehen. Aber das damit verbundene Prestige und vor allem der Verdienst waren einfach zu verlockend gewesen.
Aber er bereute nichts. Bis auf eins: dass er Angie und die Kinder für immer verlassen musste, wenn er sie nicht auch noch verlieren wollte. Er liebte sie wirklich. Sie waren die einzigen Menschen, denen er jemals echte Gefühle entgegengebracht hatte. Aber darauf konnte er keine Rücksicht mehr nehmen.
Er würde untertauchen und als vermisst gemeldet werden. Sobald er in Sicherheit war, würde er Spuren fälschen, die zweifelsfrei seinen Tod bewiesen, und dann mit einer neuen Identität für immer untertauchen. Diesen Notfallplan hatte er von Anfang an sorgfältig vorbereitet, noch ehe er sein Kartell aktiviert hatte. In den vergangenen Jahren hatte er mit den Coups des Kartells genug Geld verdient, dass er für den Rest seines Lebens keinen Job mehr annehmen musste. Er würde unerkannt
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