Das Kumo-Kartell
seine Antwort nicht ab, sondern unterbrach die Verbindung. Seufzend steckte Cotton das Phone ein. Damit hatte sich der potenzielle Flirt erledigt. Er trank den Rest des Taliskers, spülte mit dem Wasser nach und verließ die Bar. Eigentlich hatte er sich darauf gefreut, einen freien Tag haben und ausspannen zu können. Aber die Pflicht hatte Vorrang. Cotton wollte es auch gar nicht anders. Schließlich schliefen die Verbrecher auch nicht oder gönnten denen, die sie von Rechts wegen jagten, freie Tage.
»Ein andermal«, sagte er im Vorbeigehen zu der Barfrau, die sichtlich enttäuscht war, dass er ging.
Während er seinen Wagen in Richtung Innenstadt durch immer dichteren Verkehr steuerte, fragte er sich, was an dem Mord wohl so Besonderes sein mochte, dass das G-Team ermittelte. Mord in der Upper East Side war zwar nicht unbedingt die Regel – es gab schlimmere Pflaster in New York –, aber auch nicht so selten, dass gleich das FBI gerufen wurde, erst recht nicht das G-Team. Besonders da kein Ermittlungsleiter vom Morddezernat freiwillig das FBI rief, damit es seinen Fall löste und die Lorbeeren einheimste.
Als Cotton eine halbe Stunde später neben Phil Decker vor der Leiche stand, wusste er, warum der Fall vom FBI übernommen werden sollte. Der Tote lag auf seinem Bett und trug nichts am Leib außer einem Kondom und zwei asiatischen Schriftzeichen auf der Stirn.
»Wenigstens ist er glücklich gestorben.« Joe Brandenburg, Cottons ehemaliger Partner vom NYPD, gesellte sich zu ihnen.
Decker maß ihn mit einem kühlen Blick. »Ihr Humor ist mal wieder umwerfend.«
Brandenburg zuckte mit den Schultern. »Gibt es einen schöneren Tod für einen Mann? Ich wette, er hat nicht mal was gemerkt. Er hat diese Welt auf dem Höhepunkt von Lust und Leidenschaft verlassen.«
»An dir ist wahrhaft ein Dichter verloren gegangen, Joe«, kommentierte Cotton.
Decker würdigte Brandenburg keiner Antwort. Er war eine zwielichtige Gestalt. Man wusste nie so recht, was man von ihm halten sollte, und es hieß, dass er sich neben seinem Gehalt als Detective ein paar Dollars dazuverdiente – auf eine Weise, die für einen Cop zumindest fragwürdig war. Brandenburg machte keinen Hehl daraus, dass es ihm nicht passte, wenn das FBI an einem »seiner« Tatorte auftauchte. Aber er war mit Leib und Seele Polizist – ein Mann, der alles dafür gab, die Bürger New Yorks vor dem kriminellen Abschaum zu schützen, wie er nie müde wurde zu betonen.
»Wann wurde er gefunden und von wem?« Cotton blickte Brandenburg auffordernd an.
»Heute Vormittag, von seiner Haushälterin. Sie kommt jeden Tag zum Einkaufen und Saubermachen und hat einen Schlüssel für das Penthouse, weil ihr Chef meistens auf der Arbeit ist, wenn sie erscheint.« Brandenburg schnitt eine Grimasse. »Aber wir vom NYPD wissen durchaus, wie wir bei einem Leichenfund vorzugehen und wen wir zu befragen haben. Die Frau weiß nichts und ist im Moment sowieso völlig durch den Wind.«
Es klang bissig. Das G-Team hatte in der Vergangenheit schon des Öfteren mit Brandenburg gearbeitet, sehr zu dessen Missfallen. Doch sie konnten keine Rücksicht darauf nehmen, was Joe Brandenburg gefiel oder nicht. Das NYPD verfügte nun mal nicht über die Befugnisse und Möglichkeiten des FBI, erst recht nicht des G-Teams.
»Ich kann dir aber ein paar Informationen geben«, fügte Brandenburg mürrisch hinzu.
»Wäre nett«, sagte Cotton.
»Der Mann ist seit gestern Abend tot. Um sieben hat er noch quicklebendig sein Büro in Downtown verlassen. Er war ein überbezahlter Anwalt. Wenn du mich fragst, ist er so vielen Leuten auf den Schlips getreten, dass die Liste der Verdächtigen endlos sein dürfte.«
Cotton fragte ihn aber nicht. Er nickte dem Rechtsmediziner zu, der neben dem Bett stand und sich Notizen machte, ehe er an die Leiche herantrat und sie von allen Seiten betrachtete. Saito war durchtrainiert, Mitte dreißig und wirkte von der Konstitution her nicht wie jemand, der ohne jeden Grund tot umfiel. Auch nicht bei wildem Sex. An der linken Seite des Halses entdeckte der Rechtsmediziner Reste von verschmiertem Blut. Er brachte sein Gesicht näher heran, um es genauer zu betrachten. Unter dem Blut war ein winziger Kratzer zu sehen, nur ein paar Millimeter lang. Eine andere Verletzung gab es nicht, zumindest nicht am sichtbaren Teil des Körpers.
Er beugte sich über den Hals des Toten, schnupperte an der Wunde und nahm einen Geruch wahr, der ihn an den Duft von Blumen
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