Das Kumo-Kartell
Sie blickte Cotton und Decker an. »Das verstehe ich nicht.«
Cotton verstand nur allzu gut. »Ich nehme an, Ihr System gibt auch Alarm, wenn ein Auftrag nicht innerhalb einer gewissen Zeit als beendet angezeigt wird.«
Lady Celia nickte. »Das ist zur Sicherheit unserer Angestellten. Gerade bei Neukunden kommt es hin und wieder vor, dass sie unsere Angebote mit sexuellen Dienstleistungen verwechseln, die wir absolut nicht anbieten. Manche dieser Kunden werden gewalttätig, wenn ihre diesbezüglichen Wünsche nicht erfüllt werden.«
Allein die vehemente Betonung des Wortes »absolut« hätte Cotton erkennen lassen, dass es eine Lüge war, zumal Lady Celias Stimme und ihr Tonfall es ohnehin bestätigten.
»Deshalb melden unsere Leute mit dieser zusätzlichen Bestätigung, dass alles in Ordnung ist. Wenn wir nichts von ihnen hören, rufen wir sie an. Wenn sie sich innerhalb einer Stunde danach nicht gemeldet haben, informieren wir die Polizei.«
Das war zwar eine nette Geste, wie Cotton fand, aber falls eine der Angestellten tatsächlich von einem Kunden mit Gewalt bedrängt würde, wäre es längst zu spät für sie, wenn Lady Celia endlich geruhte die Polizei zu rufen. Die Frau wäre im schlimmsten Fall schon lange tot, bevor die Cops von einem potenziellen Verbrechen erfuhren und eingreifen konnten. Aber er und Decker waren nicht hier, um dem Escortservice das Handwerk der illegalen Vermittlung von Prostitution zu legen. Sie hatten eine Mörderin zu fassen. Die hatte offenbar an Kumikos Stelle bestätigt, dass der Auftrag erledigt war, damit in der Agentur niemand Verdacht schöpfte.
Cotton suchte das Foto aus dem Speicher seines Handys, das er von den Schriftzeichen auf Saitos Stirn gemacht hatte, und hielt es Lady Celia hin. »Sagen Ihnen diese Zeichen etwas?«
Sie blickte darauf und schüttelte den Kopf. Cotton beobachtete sie genau, damit ihm nicht die kleinste verräterische Regung entging. Ein Zucken der Lider, ein kurzes Weiten der Augen, ein intensiveres Einatmen – das alles waren Reflexe, die darauf hingedeutet hätten, dass Celia den Schriftzug erkannt hatte. Doch sie zeigte nur ehrliches Nichterkennen.
»Lady Celia, wir brauchen die Adresse von Kumiko. Sofort.«
*
Kumiko Tanaka wohnte in einem Apartment 42 Crescent Street in Brooklyn. Ein sauberes Haus mit sauberen Leuten als Mietern. Als niemand auf Cottons und Deckers Klopfen und die Aufforderung reagierte, ihnen zu öffnen, trat Cotton die Tür ein. Mit gezogener Waffe gingen er und Decker den Flur entlang ins nächste Zimmer. Es war leer. Sie schauten in jeden Raum, wobei sie sich gegenseitig Deckung gaben.
Sie fanden Kumiko im Schlafzimmer. Die junge Frau lag reglos in ihrem Bett. Außer ihr hielt sich niemand in der Wohnung auf. Decker tastete am Hals nach dem Puls.
»Sie lebt.«
Cotton griff sofort zum Smartphone und rief die Ambulanz. Da Kumiko trotz Deckers Versuchen, sie wieder zu Bewusstsein zu bringen, nicht aufwachte, war sie offenbar mit irgendeinem Medikament oder Rauschgift betäubt worden.
Decker betrachtete die junge Frau nachdenklich. »Fällt Ihnen was auf, Cotton? An ihrer Haltung.«
Cotton nickte. Die war ihm sofort aufgefallen. Kumiko lag in einer perfekten stabilen Seitenlage, in die man Bewusstlose bei Erster Hilfe bettete. Das war ungewöhnlich. Falls die Frau, die sich für Kumiko ausgegeben hatte, Saitos Mörderin war, die skrupellos den Mann getötet hatte, mit dem sie zuvor geschlafen hatte, dann passte es nicht, dass Kumiko noch lebte. Auftragskiller töten jeden, der ihnen bei ihren Jobs im Weg ist. Erst recht Personen, die sie identifizieren könnten. Selbst wenn sie jemanden nur außer Gefecht setzten – auf welche Weise auch immer –, war es ihnen egal, ob der Betreffende überlebte oder nicht. Ein betäubtes Opfer in die Seitenlage zu bringen, um sicherzustellen, dass es die Attacke überlebte, passte überhaupt nicht ins Bild.
Cotton sah sich ebenso wie Decker in der Wohnung um. An verschiedenen Haken, die außen an der Tür des begehbaren Kleiderschranks angebracht waren, hingen die Sachen, die Kumiko offenbar hatte anziehen wollen. In einem Sessel stand eine Sporttasche. Darin befanden sich Schminkutensilien, eine Packung Kondome, ein Handtuch, zwei Kimonos und eine flache Box. Cotton öffnete sie vorsichtig und fand darin in passgenauen Halterungen die Utensilien für eine Teezeremonie: Teeschalen, Bambusbesen, einen flachen Wasserkessel, ein Päckchen pulverisierten grünen Tee. Offenbar war das
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