Das kurze Glueck der Gegenwart
sie darin zu »verpacken«.
»Ein Kolumnist fragt sich angesichts der Euphorie bei irgendwelchen Hypothekenbanken, ob es besser wäre zu kaufen, solange irgendwelche Gerüchte kursierten, oder zu verkaufen, sobald wirkliche Nachrichten kämen. Oder umgekehrt. Oder beides. Oder nichts davon. Was auch immer. Ich interessierte mich nicht für Geld. Ich hatte Geld.« Der Witz ist natürlich, dass genau diese komischen »Gerüchte« das Schicksal von Jaspers irregulär abgewickelten Geschäften betreffen und damit auch das der ganzen Bank, bei der eben zufällig auch der Schriftsteller sein ganzes Geld liegen hat. Und Meike, die ihrem Autor nachreist, hat eben, obwohl sie gar keine Sicherheiten hat, einen Kredit von ebenjener Hypothekenbank Home Star genommen, um deren in die Höhe schießende Aktien sich die Kursphantasien der Börse und auch Jaspers Geheimaktionen drehen. Alles hängt mit allem zusammen. Die Zufälle der Handlung sind das eine, außerdem sind die Figuren auch noch in ihren Finanzgeschäften miteinander verlinkt, auch wenn sie sich wie LaMarck darum überhaupt nicht scheren oder, wie Meike, überhaupt kein Geld haben. Dann sind sie eben über ihre Schulden miteinander verbunden.
Dass die ganze verwickelte Geschichte dann sowohl auf der privaten wie auf der finanziellen Ebene ein Happy End findet, ist bei Kristof Magnusson natürlich dem Genre geschuldet. In der Wirklichkeit gibt es bei den sogenannten kleinen Leuten ja meist nur Verlierer. Die Bank freilich verschwindet im Orkus, das Geld der Sparer mit ihr. Und den Überblick behält man ebenfalls vor allem in der Literatur, wo es nur um drei Figuren geht.
Große Beben resultieren oft aus sehr kleinen Ursachen. Die Chaostheorie kennt den Schmetterlingseffekt, dem zufolge der Flügelschlag eines Schmetterlings irgendwo auf der Welt die Ursache eines Orkans an ihrem anderen Ende sein kann. Doch auch »künstliche«, menschengemachte Systeme wie die Technik oder die Ökonomie sind so komplex, dass eine einfache Ursachenforschung oft kaum möglich ist. Tolstoi hat in »Krieg und Frieden« zu der Frage, was denn nun zur Niederlage Napoleons in Russland geführt habe, umfangreiche Überlegungen angestellt, um dann schließlich zur Einsicht zu kommen, dass es entweder die Vorsehung oder die Summe der einzelnen Willensäußerungen jedes am Krieg Beteiligten, vom Oberbefehlshaber bis zum letzten Stallknecht, gewesen sei. Für den Romancier macht das aber keinen Unterschied, denn weder die eine große Ursache – Gott, das Schicksal, die Vorsehung – noch die Millionen kleinen sind in einem Roman darstellbar, und wäre er zehnmal so dick wie »Krieg und Frieden«. Nun ist aber Narration eng mit Kausalität verbunden. Was in der Erzählung zeitlich aufeinanderfolgt, wird vom Leser intuitiv auch als Verhältnis von Ursache und Wirkung angesehen. Kann der Roman sich also aktuellen Stoffen widmen, großen Ereignissen der Zeitgeschichte oder gesellschaftlichen Subsystemen, ohne diese Ereignisse auch erklären, das Funktionieren dieser Systeme auch darstellen zu können?
Norbert Zähringer ist der Chaostheoretiker unter den deutschen Schriftstellern. Seine bisher drei Romane »So« (2001), »Als ich schlief« (2006) und »Einer von vielen« (2009) entwerfen jeweils ein kompliziertes Figurengeflecht, in dem jede kleinste Handlung alle anderen beeinflussen kann. Die Theorie, dass jeder Mensch mit jedem beliebigen anderen durch nur wenige Zwischenstationen verbunden ist, wird hier zu einer Poetik des weltumspannenden Romans. Geschichte oder Wirtschaft sind höchst fragile Systeme von unendlich vielen Einzelvorgängen, deren Zusammenhänge für den Einzelnen undurchschaubar sind. Der auktoriale Erzähler feiert sein Comeback als Chaosforscher.
Das gelingt Zähringer am überzeugendsten in seinem jüngsten Buch. »Einer von vielen« verfolgt die Lebensgeschichten zweier Figuren: Edison Frimm und Siegfried Heinze, die beide am gleichen Tag, dem 1. September 1923, geboren wurden, der eine in der Mojave-Wüste, der andere in Berlin. Die Biographien beider sind wie in einem Musikstück kontrapunktisch aufeinander bezogen, Frimm macht Karriere in Hollywood und wird später in einer Propagandaeinheit am Luftkampf über Europa teilnehmen. Heinze dient in einer Flakeinheit und erlebt so den Bombenkrieg auf der anderen Seite. Während des Endkampfs um Berlin hätten sich ihre beiden Lebenswege um ein Haar auf fatale Weise geschnitten. Doch bleibt die Begegnung aus, und dennoch
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