Das kurze Glueck der Gegenwart
Höhepunkt der Wirtschaftskrise, nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers, stand in der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung« im Ressort »Geld und mehr« (das heißt tatsächlich so, nicht etwa »Mehr Geld«) etwas höchst Bemerkenswertes zu lesen: Man wisse leider immer noch nicht genau, wie eine Krise auf dem amerikanischen Immobilienmarkt zu einer weltweiten Finanzkrise sich hat entwickeln können. Die Experten also durchschauen ihren Zuständigkeitsbereich nicht mehr. Das ist etwa so, als wenn ein Dreisternekoch äußern würde, nun ja, es schmecke zwar, aber wie er das nun hingekriegt habe, das sei ihm selbst recht rätselhaft.
Wie sollen also die Schriftsteller den Durchblick haben, die vom Markt gerade mal so viel verstehen wie Buchpreisbindung (also das Gegenteil von Markt)? Schriftsteller oder Künstler allgemein haben ein Milieuproblem: Sie sind meist unter ihresgleichen, treffen selten abends in der Kneipe einen ihrer Stellung im Literaturbetrieb vergleichbar einflussreichen Manager oder Berufsoffizier. Und höchst selten haben sie vor ihrer Berufung einen Beruf erlernt, dessen Erfahrungswerte für die Gegenwartsdiagnose verwendbar wären. Karen Duve etwa war – immerhin – in den achtziger Jahren Taxifahrerin in Hamburg. Das hat einen Roman ergeben. Der heißt »Taxi« (2008) und ist gar nicht so schlecht. Aber eine Gegenwartsdiagnose? Taxifahren ist leider auch irgendwie zeitlos.
Immerhin gibt es ja unter den deutschsprachigen Schriftstellern eine bemerkenswerte Ausnahme, den Schriftsteller, Philosophen und Unternehmer Ernst-Wilhelm Händler. Geboren 1953, leitete Händler das ererbte Familienunternehmen, einen metallverarbeitenden Betrieb, der Schaltschränke und Installationsverteiler herstellte. Schon in seinem Manager-habitus, in Anzug und Krawatte, mit stets korrekter Rasur und Frisur und weltmännisch-galanten Manieren, wirkt er im lässigen Informel des Branchenüblichen wie ein bunter Hund.
Die kalte, begrifflich präzise, das Psychologische und Menschliche aber nie direkt, sondern stets in seinen beobachtbaren Auswirkungen erfassende Prosa zeichnete schon Händlers erste Bücher aus, mit denen er Mitte der Neunziger auftrat. »Kongress« (1996) war ein düsteres Intrigenspiel im Philosophischen Seminar der Universität München, wo Händler studiert hatte. 1980 war er mit einer Arbeit über »Logische Struktur und Referenz von mathematischen ökonomischen Theorien« in den Wirtschaftswissenschaften promoviert worden – schon das reichte aus, um Händler ein Alleinstellungsmerkmal unter den Kollegen zu sichern.
Die Rahmenhandlung des experimentellen Romans »Fall« (1997) schließlich erzählt davon, wie ein Schriftsteller/Unternehmer durch unternehmensrechtliche Winkelzüge aus der Führung einer Familienfirma gedrängt wird. Während sich im Schriftverkehr die Entmachtung des rechtmäßigen Erben vollzieht, arbeitet dieser sich in seiner literarischen Parallelwelt an einer ganz anderen Vaterfigur ab: an Thomas Bernhard nämlich, dessen »Auslöschung« (unter anderem) in »Fall« fortgeschrieben wird. Das Todesdatum des Vaters, an dem der Roman seinen Ausgangspunkt nimmt, ist tatsächlich der Todestag Bernhards.
Natürlich kein Zufall: Händlers Schreiben kreist immer wieder um die Frage nach literarischen Einflüssen. Es ist daher ein weit in der Fluchtlinie der (Post-)Moderne stehendes Werk, das aber zugleich mit dem Material der Gegenwart arbeitet – bis hin zu seinem jüngsten Roman »Welt aus Glas« (2009), dessen Geschichte um millionenschwere Kunstmarkttransaktionen man als hochaktuelle Parabel auf die Finanzkrise lesen kann.
»Wenn wir sterben« von 2002 ist Händlers radikalster Versuch, die Wirtschaftswelt in Literatur zu überführen. Die Handlung schließt oberflächlich an »Fall« an: Seine Hauptfigur ist die Firma selbst, die Voigtländer GmbH, die jetzt einer Frau gehört. Erzählt wird, wie in einer unaufhörlichen Kette von Intrigen die Besitzverhältnisse wechseln, wie das fluide Gut des Besitzes von den Menschen nicht beherrscht werden kann, so hart sich diese selbst auch machen. Neben eindringlichen Darstellungen des Innenlebens eines Unternehmens, den Dramen der Personalführung, dem Kampf um Effizienz, dem Ringen um Kreditlinien, den Wagnissen des Unternehmertums ist das Buch gerade in seiner kühlen Distanz zu den Hauptfiguren ein Psychogramm eines Menschentyps, der sein ganzes Leben dem Ringen um Macht und Geld widmet. Sterben heißt hier: bankrott
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