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Das Labor der Esper

Das Labor der Esper

Titel: Das Labor der Esper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Morgan
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unmöglich, sie Tag und Nacht zu überwachen. Es gab lange Perioden, in denen er, erschöpft durch die Beanspruchung seiner geistigen Kräfte, schlafen mußte.
    Sie griff ihn mehr als einmal während dieser Ruhepausen an und versuchte sich des Ungeheuers zu entledigen, das ihr Leben beherrschte. Aber jedesmal weckte sie ihn mit ihrer Plumpheit, und er konnte sich mit seinen Waffen verteidigen. Er überlebte alle Angriffe mit geringfügigen Verletzungen. Wie bei seinem Schlaf war auch die Notwendigkeit zu essen weit größer, als man bei einem physisch untätigen Menschen erwartet hätte. Sein gesamter Stoffwechsel war offensichtlich auf seinen ungeheuren Energieverbrauch eingestellt. Das Gehirn, das in dem winzigen, unterentwickelten Körper brannte, war wie ein Hochofen, der enorme Mengen Brennstoff verschlang und sie in gewaltige geistige Energien umwandelte.
    Mit fünf Jahren hatte sich Viktor ein Sammelsurium an Wissen von einem guten Dutzend verschiedener Gehirne zusammengestohlen. Unter seiner Beute befand sich das Wissensgut eines Talmudgelehrten und eine Theorie der Musik. Dazu war er mit sämtlichen Verzweigungen des Schwarzmarktes bestens vertraut. Seine rasche Auffassungsgabe gestattete es ihm, in jedes Gehirn einzudringen und sich das herauszuholen, was ihm gefiel. Je mehr Fortschritte er machte, desto klarer wurde ihm auch, daß dieser Vorgang nicht nur auf Abstrakta beschränkt blieb. In gewissen Fällen konnte er in das Sinneszentrum eindringen und sich die physischen Erfahrungen des Opfers für kurze Zeit zu eigen machen. Es gelang ihm, die Gefühle und Muskelbewegungen eines Geigenspielers zu assimilieren, auch wenn er selbst mit seinen armseligen Gliedern kaum ein Instrument zu spielen vermochte.
    Auf diese Weise wurden ihm die Grenzen seines verkrüppelten Körpers bewußt, doch als die Lage unerträglich zu werden begann, tröstete er sich, indem er die Erfahrungen eines jungen Mannes aus der Umgebung »anzapfte«. So wußte er, was es hieß, den kräftigen jungen Körper eines Amateurboxers zu besitzen oder als junges Mädchen den ersten Schmerz der Liebe zu erfahren. Es gab auch andere, weniger angenehme Situationen, die sein nimmersattes Gehirn sammelte: die triumphierende Qual einer gebärenden Frau, das tägliche Leben eines von Rheuma geplagten, fast blinden Mannes, den nur noch der Glaube aufrechthielt. Sex war für Viktor nichts Geheimnisvolles. In einem Alter, als die Pubertät noch weit vor ihm lag, hatte er Hunderte von Malen das Wunder und Entsetzen der Liebe gespürt. Ein winziges, verkrüppeltes Ding, war er bereits alt, bevor er Zeit hatte, ein Kind zu sein.
    Es war unvermeidlich, daß so ein Gehirn sich nicht für immer mit der Rolle des Beobachters zufriedengeben wollte. Wenn er in seinen Körper zurückkehrte, wurde ihm seine Nutzlosigkeit jedesmal schmerzhaft bewußt. Er faßte den Plan, den Körperaufbau anderer Menschen zu studieren und mit seinem eigenen zu vergleichen. Der Fehler mußte sich doch finden lassen. Und irgendwie würde er ihn beseitigen. Schließlich war er noch jung und hatte viele Lebensjahre vor sich. Es konnte sein, daß er noch zu normaler Größe heranwuchs.
    Und mit der ihm eigenen Entschlossenheit begann er zu forschen. Er forschte nachts, wenn seine Studienobjekte schliefen, und tagsüber verlangte er von Rosa enorme Mahlzeiten, um den Energieverlust wieder wettzumachen.
    Als er dann mit dem Vergleich fertig war, sah er sich der entsetzlichen Wahrheit gegenüber, daß sein Körper ein größeres Wunder darstellte als der des jungen Boxers. Bereits in der Zellstruktur seines Körpers klafften Riesenlücken. Es war nicht überraschend, daß er verkrüppelt und unterentwickelt war. Im Gegenteil – es war ein Wunder, daß er überhaupt lebte.
    Diese furchtbare Erkenntnis brachte seine Forschungen zu einem jähen Ende. Es hatte keinen Sinn, die Sache weiterzuverfolgen, nur um zu erfahren, daß er zum lebendigen Tode verurteilt war. Anfangs entwickelte er eine schäumende Wut gegen das Schicksal, die Menschheit und die Welt. Aber die Wut wurde bald von einer allumfassenden Verzweiflung abgelöst, die ihn passiv werden ließ. Er lag monatelang unbeweglich, gleichgültig in seinem eigenen Schmutz und rührte sich nur hin und wieder, wenn er Nahrung von Rosa brauchte. Er strafte sie unbarmherzig, wenn sie seinen Wünschen zu langsam nachkam.
    Mehrere Jahre vegetierte er so dahin, bis die natürliche Widerstandskraft seines Geistes wiederhergestellt war. Er

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