Das Labor der Esper
…
»Nein, Mister Powell, Sie überschätzen mich«, sagte sie. »Ich kann nicht tief in Ihr Gehirn eindringen, wenn Sie mir dabei nicht helfen – und selbst dann ist es oft unmöglich. Ich habe mich nur an der Oberfläche entlanggetastet. Ich weiß, was Sie sagen werden, bevor Ihre Stimmbänder in Aktion treten – und ich weiß, welche ungesagten Dinge hinter den Worten liegen. Aber das ist alles.«
»Und der Satz auf dem Löschpapier?«
»Gar nicht so großartig, wie Sie vielleicht glauben. Sie hatten die Feder bereits in der Hand. Wenn ich sie nicht geführt hätte, wären eben noch mehr Schnörkel entstanden, die nichts bedeuten.«
»Wer – oder was sind Sie?« Er war jetzt ruhig geworden und merkte, daß sein Abscheu unvernünftig gewesen war, aber er konnte die Situation nicht einfach hinnehmen.
»Ich erkenne bereits den Fragenkomplex, der in Ihnen hochsteigt, Mister Powell«, sagte sie. »Wenn Sie sich entspannen, kann ich Ihnen antworten. Erstens, ich gehöre keiner Organisation von geheimen Telepathen an, und soviel ich weiß, gibt es auch keine solche Organisation.«
»Würden Sie die Existenz einer solchen Organisation auf alle Fälle bemerken?«
»Ja, ich glaube schon. Es mag für Ihre Ohren vielleicht widersprüchlich klingen, aber auch ein Telepath kann einsam sein. Wenn es je so eine Gruppe gäbe, hätte ich mich angeschlossen.«
»Sie haben also noch niemand mit Ihren Fähigkeiten gefunden?« fragte Powell.
»Nein – das sagte ich nicht. Aber drücken wir es einmal so aus! Mögen Sie jeden, mit dem Sie zusammentreffen und sich unterhalten?«
»Es gibt also andere Telepathen?« Powell konnte seinen Eifer kaum zurückdrängen. Es war Ironie, daß nach drei verschwendeten Jahren ein Mädchen in sein Büro kam und ihm einen Schlüssel zur Lösung des Problems anbot. Ironie – oder ein seltener Glücksfall.
»Natürlich.«
»Wie viele kennen Sie persönlich?« bohrte Powell weiter.
»Einen Moment, Mister Powell«, sagte sie ruhig. »Unter den Telepathen gibt es ebenso viele verschiedene Persönlichkeiten wie unter den gewöhnlichen Menschen. Ich kann mir vorstellen, daß sich nicht jeder Telepath bereiterklären wird, Ihrer Spionage-Abteilung beizutreten.«
»Die Motive müssen ja nicht unbedingt patriotisch sein«, deutete Powell an. »Ich bin in der Lage, beträchtliche Summen anzubieten – das heißt, man wird mir die Mittel zur Verfügung stellen, wenn ich beweisen kann, daß die Abteilung funktioniert.«
Sie betrachtete ihn nachdenklich mit ihren braunen Augen. »Es könnte auch gewisse Nachteile für einen Telepathen haben …«
»Ich verstehe nicht.«
»Also gut – dann lassen Sie mich die Sache erklären. Als Telepathen sind wir Mitglieder einer kleinen, im Augenblick aber noch verborgenen Minderheit. Wer sich Ihrer Organisation anschließt, verliert automatisch seine Anonymität und wird zu einem registrierten, offiziell anerkannten Telepathen.«
»Ich kann Ihnen versichern, daß die gesamte Operation unter strengster Geheimhaltung durchgeführt würde.«
»Zweifellos, aber es muß Aufzeichnungen geben, und ein gewisser Personenkreis hat notwendigerweise Zutritt zu ihnen.«
»Ich verstehe immer noch nicht, worauf Sie hinauswollen«, sagte Powell.
»Also gut, dann muß ich es direkt sagen. Angenommen, jemand in hoher Position beschließt, daß eine verborgene Minderheit von Telepathen zur Gefahr für normale Leute werden kann. Dann wäre der Beitritt in Ihre vorgeschlagene Organisation der erste Schritt zu einem anderen, düsteren Plan.«
»Ich kann Ihnen versichern …«
»Mich können Sie vielleicht überzeugen, aber ich weiß nicht, ob Ihnen das auch bei anderen gelingt. Denn Sie haben den ehrlichen Willen, eine solche Organisation aufzubauen, aber wissen Sie genau, was Ihre Vorgesetzten darüber denken? Sie nützen Ihren Idealismus möglicherweise aus, um eine Todeskandidaten-Liste zusammenzustellen. «
»Unmöglich!« rief Powell. »Wie können Sie an so etwas nur denken?«
»Mister Powell, Sie sind nicht ganz ehrlich. Denken Sie zurück! Welche Gefühle hatten Sie, als Sie entdeckten, daß ich Telepathin bin und Ihre Gedanken lesen kann?«
»Das war eine Schockreaktion – ich hatte keine Zeit, mich darauf vorzubereiten …«
»Es war die ganz natürliche Reaktion eines ›normalen‹ Menschen, der entdecken muß, daß seine Gedankenfreiheit bedroht ist. Solch eine Verletzung der Intimsphäre könnte Grund genug für alle Arten von Verfolgungen sein. Mister
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