Das Labyrinth der Ratten
Also läufst du den ganzen Tag unsicher herum. Aber wenn dann jemand anfängt, die Wahrheit auszu sprechen, überfällt dich eine Allergie; du wirst psychosomatisch krank vom Scheitel bis zur Sohle.«
»Hmm.«
»Die Antwort«, sagte Maren, »jedenfalls vom Standpunkt derjenigen aus, die mit dir zu tun haben, emotional und launisch, wie du bist, besteht darin, dir zu sagen, daß der Mythos...«
»Ach, hör auf! Hat Nitz irgend etwas Näheres über die neuen Medien verlauten lassen, die man entdeckt hat?«
»Gewiß. Ein kleiner Junge, dick wie ein Ballon, mit einem Lutscher im Mund, sehr unsympathisch. Eine ältere unverheiratete Frau in Nebraska. Ein ...«
»Mythen«, sagte Lars. »So dargestellt, daß sie als wahr erscheinen.« Er ging durch den Korridor zurück zu Marens Büro. Einen Augenblick später schloß er ihren Bildsprecher auf, wählte Festung Washington und die Stationen des Ausschusses.
Aber als das Bild sich zusammenfügte, hörte er ein deutliches Klicken. Das Bild schrumpfte gering – aber merkbar, wenn man genau genug hinsah. Und gleichzeitig leuchtete eine rote Warnlampe auf.
Die Leitung wurde irgendwo angezapft. Und nicht durch eine bloße Spule, sondern durch eine regelrechte Splissung. Er legte sofort auf, erhob sich, ging zu Maren zurück, die einen Aufzug hatte vorbeifahren lassen und seelenruhig auf ihn wartete.
»Dein Gerät wird abgehört.«
»Ich weiß«, sagte Maren.
»Und du hast nicht bei PT & T angerufen, damit jemand kommt und die Wanze entfernt?«
Maren erwiderte nachsichtig, so, als spreche sie mit jemandem, dessen geistige Fähigkeiten stark eingeschränkt waren: »Hör mal, sie wissen ohnehin Bescheid.« Ein Hinweis, der vage genug war: sie. Entweder KACH, die neutrale Agentur, beauftragt von Foks-Ost, oder Arme von Foks-Ost selbst, wie der KWB. Es spielte keine Rolle, wie sie praktisch selbst sagte. Sie
wußten ohnehin über alles Bescheid.
Trotzdem, es ärgerte ihn, daß man sich keiner Mühe, nicht einmal der Formalität unterzog, die Einschleusung eines feindseligen, automatischen, höchst unnatürlichen Stücks Elektronikmechanismus zu verheimlichen.
Maren sagte nachdenklich: »Sie ist irgendwann vorige Woche angebracht worden.«
»Ich habe keinen Einwand gegen ein Wissensmonopol für eine kleine Klasse«, sagte Lars. »Es stört mich nicht, daß es ein paar Cogs und viele Dutzendmenschen gibt. In Wahrheit wird jede Gesellschaft von einer Elite geführt.«
»Was ist es dann, Liebling?«
»Was mich stört«, sagte Lars, als der Lift kam, »ist, daß die Elite in diesem Fall sich nicht einmal die Mühe macht, jenes Wissen zu bewachen, das sie zur Elite macht.« Wahrscheinlich gibt es eine kostenlose Broschüre, dachte er, verteilt von UNWest, mit einem Titel wie etwa ›Wie wir euch Pinsel beherrschen, und was wollt ihr schon dagegen tun?‹
»Du gehörst zur Autorität«, erinnerte ihn Maren.
Er warf ihr einen Blick zu und sagte: »Du läßt den telepathischen Hirnzusatz eingeschaltet. Trotz Behrens' Verfügung.«
»Es hat mich fünfzig Mil gekostet, ihn einbauen zu lassen«, sagte Maren. »Glaubst du wirklich, ich schalte ihn ab? Sieh dir an, wie er sich rentiert. Er sagt mir, ob du treu bist oder dich in irgendeiner Wohnung mit ...«
»Dann lies in meinem Unbewußten.«
»Das habe ich getan. Warum aber? Wer will wissen, wo du die üblen Dinge verwahrst, die du nicht wissen willst ...«
»Lies trotzdem! Lies die Voraussageaspekte. Was ich tun werde, das potentielle Handeln, noch im Entstehungszustand.«
Maren schüttelte den Kopf.
»So große Worte und so wenig Ideen.«
Sie kicherte über seine Reaktion. Der Hubschrauber hatte inzwischen automatisch eine Höhe über der Pendler-Ebene erreicht und ließ die Stadt hinter sich. Er hatte ihn instinktiv angewiesen, Paris zu verlassen ... der Himmel wußte, warum. »Ich werde dich analysieren, mein Lieber«, sagte sie. »Es ist eigentlich rührend, was du immer und immer wieder denkst, da ganz tief unten in deinem unterdurchschnittlichen Gehirn – unterdurchschnittlich, wenn man den Knoten am Vorderlappen nicht mitrechnet, der dich zum Medium macht.«
Er wartete, um nur die Wahrheit zu hören.
»Immer und immer wieder quietscht diese kleine innere Stimme: ›Warum müssen die Leute glauben, was nicht zutrifft?‹« sagte Maren. » ›Warum kann man es ihnen nicht sagen, warum können sie nicht, wenn sie es erfahren haben, damit leben?‹« Ihre Stimme klang jetzt mitfühlend. Für sie auf ganz
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