Das Labyrinth der Ratten
es; deshalb verbringe ich viel Zeit im Pawlow-Institut und werde es immer tun. Es ist schwer, mich in Gang zu halten, Lars. Das ist eine simple Tatsache. Das ganze geht nur von einem Tag zum anderen, und Formophan hilft. Ich nehme es. Ich bin froh, daß ich es bekomme – ich hasse die ›Depressionen‹, oder was es sonst sein mag. Wissen Sie, was es ist?« Sie beugte sich vor. »Wollen Sie es wissen?«
»Gewiß.«
»Ich habe einmal meine Hand beobachtet. Sie schrumpfte und starb ab und wurde zu einer Leichenhand. Sie verrottete zu Staub. Und dann erfaßte mich das ganz; ich lebte nicht mehr. Und dann – lebte ich wieder. Auf eine andere Weise. Das Leben, das folgt. Nachdem ich gestorben bin ... Sagen Sie etwas.« Sie wartete.
»Nun, das müßte die etablierten Religionseinrichtungen interessieren.« Das war alles, was ihm im Augenblick einfiel.
»Glauben Sie, daß wir, wir beide, tun können, was sie wollen, Lars?« fragte Lilo. »Können wir beschaffen, was sie eine ›Knallbüchse‹ nennen? Sie wissen schon. Eine – ich bringe es kaum über die Lippen – eine echte W affe?«
»Sicher.«
»Woher?«
»Von dem Ort, den wir besuchen. So, als nähmen wir Psilocybin. Das, wie Sie wissen, mit dem Adrenalhormon Epinephrin verwandt ist. Aber ich habe mir das immer gern so vorgestellt, als nähmen wir T eonanacatyl.«
»Was ist das?«
»Ein Azteken-Wort. Es bedeutet ›Gottes Fleisch‹.« Zur Erklärung fügte er hinzu: »Sie kennen es unter dem Namen seines Alkaloids: Mescalin.«
»Besuchen Sie und ich denselben Ort?«
»Vermutlich.«
»Und es ist wo? Haben sie das gesagt?« Sie legte den Kopf auf die Seite, lauschend, wartend. »Sie haben es nicht gesagt. Sie wissen es nicht. Ich weiß es.«
»Dann sagen Sie es mir.«
»Das mache ich, wenn Sie vorher Formophan nehmen.« Sie stand auf und verschwand im anderen Zimmer. Als sie zurückkam, brachte sie zwei weiße Tabletten mit, die sie ihm hinhielt.
Aus Gründen, die er nicht kannte – die ihn in Wirklichkeit, wenn er ehrlich war, auch gar nicht interessierten – schluckte er die beiden Tabletten mit Bier, ohne auch nur den kleinsten Einwand zu erheben. Die Tabletten blieben ihm kurz in der Kehle stecken. Sie schienen dort zu kleben, dann waren sie über die Stelle hinaus, wo man sie noch hätte heraushusten, ausspucken können. Die Droge war jetzt ein Bestandteil von ihm. Was immer sie ankündigen mochte, welche Wirkung die Chemikalie auf seinen Körper auch ausüben konnte – er hatte sie auf Treu und Glauben akzeptiert, und damit hatte es sein Bewenden.
Treu und Glauben nicht für die Droge, erkannte er, sondern für Lilo Toptschew.
Zu seiner völligen Überraschung sagte Lilo: »Jeder, der das tut, ist – eine gescheiterte Person.« Sie wirkte traurig und doch nicht enttäuscht. Es war, als habe sein Vertrauen einen tiefen, instinkthaften Pessimismus in ihr verstärkt. Oder steckte mehr dahinter? Der slawische Fatalismus?
Er mußte lachen; er verzerrte sie zur Karikatur. Während er in Wirklichkeit überhaupt noch nichts von ihr wußte, in diesem Augenblick nicht das mindeste von ihr zu entschlüsseln vermochte.
»Sie werden sterben«, sagte Lilo. »Ich habe nur darauf gewartet, das zu tun. Ich habe Angst vor Ihnen.« Sie lächelte. »Man hat mir immer gesagt, wenn ich versage, würden die KWB-Leute im Wes-Block Sie entführen, nach Breschnewgrad bringen und Sie verwenden, und ich würde auf dem landen, was sie ›den Müllhaufen der Geschichte‹ nennen. Auf die altmodische Art. Wie Stalin sie angewendet hat.«
»Ich glaube nicht für eine Sekunde, daß Sie die Wahrheit sagen«, erwiderte Lars.
»Sie glauben nicht, daß Sie den weiten Weg hierher zurückgelegt haben, um von mir umgebracht zu werden?«
»Nein.«
Nach einer Pause seufzte Lilo.
»Sie haben recht.«
Er erschlaffte vor Erleichterung; seine Atmung setzte wieder ein.
»Ich habe Angst vor Ihnen«, fuhr sie fort. »Man hat mich wirklich bedroht und Sie mir ewig vor Augen gehalten, so daß ich es schon haßte, nur an Sie zu denken. Und Sie werden wohl auch sterben. Alle anderen tun es. Alle anderen sind bisher gestorben. Aber nicht von dem, was ich Ihnen gerade gegeben habe. Das war ein Anregungsmittel für den Hirnmetabolismus, das Ähnlichkeit mit Serotonin hat; es war genau das, was ich sagte, und ich habe es Ihnen gegeben, weil mich maßlos interessiert, die Wirkung auf Sie zu beobachten. Wissen Sie, was ich tun möchte? Ihre beiden Drogen zusammen mit der meinen
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