Das Labyrinth der Zeit
dachte kurz darüber nach. «Es zieht diese Typen also nicht zu der Mine, glaube ich.»
«Da bin ich mir sogar sicher», bekräftigte Jeannie. «Ich habe jetzt den ganzen Morgen aufgepasst und darauf gewartet, dass sie sich auf den Weg durch den Wald machen, hinauf zur Mine – um sich dort endlich um das Problem zu kümmern. Ich dachte ja, dass sie deswegen hergeschickt worden sind. Aber bisher haben sie sich nur um das Haus gekümmert. Rein und raus, so geht das schon seit Stunden.»
Je eingehender Travis darüber nachdachte, desto nachvollziehbarer erschien ihm das Verhalten der Männer, und zwar mitnichten irgendwelcher Phänomene wegen, die mit einem Geisterspuk verwechselt werden konnten. Nein, hier ging es schlicht um Prioritäten: Diese Männer waren hergeschickt worden, um den Spickzettel ausfindig zu machen und zu vernichten, oder, sollte ihnen das misslingen, zumindest andere daran zu hindern, in das Haus zu gelangen und sich in den Besitz des Zettels zu bringen – sofern dieser überhaupt noch existierte. Und obwohl auf der Hand lag, dass jene, die sie hergeschickt hatten, vermutlich auch Wert darauf legten, dass Bewaffnete in der Nähe waren, um die Mine im Notfall zu schützen, wunderte es Travis nicht, dass diese Typen sich noch davon fernhielten. Vermutlich war ihnen das strikt untersagt worden. Es handelte sich ja wahrscheinlich nur um eine Truppe gedungener Privatsöldner; die an der Mine im Grunde nichts zu suchen hatten. Welche Aktivität auch immer der Sterngucker in der Schachtanlage gerade entfaltete, Hilfe war dabei nicht vonnöten. Wichtig war einzig, dass Raines weiter tot blieb und keiner seiner mächtigen Freunde auftauchte, um an seiner Stelle einzuspringen.
«Zweihundert Meter sind nicht allzu viel», sagte Travis, «sogar mit Bäumen, die einem Deckung geben. Aber vielleicht reicht das schon. Vielleicht können wir uns von der anderen Seite aus nähern, hangabwärts, ohne dass sie uns bemerken.»
Lautes Motorengeräusch näherte sich. Gleich darauf fuhr draußen ein betagter Pick-up vorbei, beladen mit Kisten und Gepäck aller Art, die nächsten Flüchtlinge offenbar, die es eilig hatten, die Stadt zu verlassen.
Travis stellte das Thema Mine vorläufig hintan, um sich anderen Fragen zuzuwenden. Er wandte sich Jeannie zu. «Wie sieht es mit dem Mann aus, den ich vorhin erwähnt habe? Ruben Ward?»
«Den Namen habe ich heute zum ersten Mal gehört», erklärte Jeannie, «als die anderen hier aufgekreuzt sind und mich danach gefragt haben.»
«Und in keiner dieser alten Geschichten ist vom Sommer 1978 die Rede?», hakte Paige nach.
Jeannie schüttelte den Kopf.
«Haben Sie denn noch Unterlagen dazu, wer in jener Zeit in den Apartments gewohnt hat?», fragte Travis. «Ich weiß, ist schon lange her –»
«Auszuschließen ist es nicht», sagte Jeannie. «Im Büro stehen noch alte Aktenordner –»
Sie hielt inne und horchte mit schräggelegtem Kopf.
Travis vernahm das Geräusch eines weiteren Motors. Ein ziemlich sattes Röhren, das sich aber vom Motorgeräusch des Pick-ups deutlich unterschied. Jeannie schien den Klang zu erkennen.
«Mist», flüsterte sie. «Ich wollte mich doch bloß beschweren.»
«Was meinen Sie damit?», fragte Travis.
«Als Sie eben nach unten gegangen sind, habe ich die Nummer angerufen, die mir die Typen vorhin gegeben haben. Ich habe sie angebrüllt, weil ich dachte, sie hätten mir die guten Cops auf den Hals gehetzt.»
Der Motor wurde lauter, war jetzt schon ganz nahe. Das basslastige Röhren deutete eher auf PS-Stärke hin als auf Altersschwäche. Gleich darauf quietschten Bremsen, und der Motor verstummte. Irgendwo gleich um die Ecke, vom Fenster aus nicht zu sehen.
«Das ist einer der Humvees», sagte Jeannie. «Die wissen jetzt, dass Sie hier sind.»
26
«Der Lagerraum, hinten rechts.» Jeannie deutete eilig mit ausgestreckter Hand in die Ecke des Gebäudes, die dem Standplatz des Humvees draußen genau gegenüberlag. «Das Fenster hat kein Fliegengitter.»
Paige und Bethany waren bereits unterwegs. Travis schickte sich an, ihnen zu folgen, hielt aber nach einem Schritt abrupt inne und wandte sich zu Jeannie und ihren Kindern um. Er sah sie fragend an.
Jeannie schüttelte den Kopf. «Wir kommen schon klar, sobald Sie weg sind. Denen erzähle ich, dass Sie vor drei Minuten gegangen sind.»
Travis nickte, schnellte herum und spurtete den anderen nach. Er hatte den Raum fast durchquert, als Jeannie ihm laut nachrief, «Mister!»,
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