Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition)
die Vorortgassen in Hafennähe, außerhalb der Wälle. Ich verspürte eine gewisse Unruhe, verbunden mit dem Gefühl, übernommene Pflichten nicht oder nur mangelhaft zu erfüllen. Dabei verfluchte ich Bellini, der mir Geld angeboten, und mich, der ich es angenommen hatte. Ohne die Verpflichtung, etwas für die Zechinen zu liefern, hätte ich in Ruhe Kroatisch lernen, Musik machen, Wein trinken und in der erwähnten gewissen Unruhe auf Nachrichten über Kassem warten können. Zweifellos hatte Bellini, der wußte, daß ich nicht auf sein Geld angewiesen war, auf diese Weise dafür sorgen wollen, daß ich seiner gedachte.
Ein Zufall kam mir zu Hilfe, aber ohne die Erinnerung an Worte und Gebärden hätte ich ihn nicht nutzen können. Am Hang des Sergius-Bergs, am Ende einer der Gassen oberhalb des Hafens gibt es eine alte Kapelle, und aus dieser sah ich zwei Priester kommen. In der Nähe standen noch einige dunkelgekleidete Männer; einer von ihnen kniete vor den Priestern nieder und dankte für die guten und anrührenden Worte bei der Beerdigung. Als er schließlich aufstand und ging, machten die Geistlichen sich auf den Weg hinab zur Stadt, und nun konnte ich ihre Gesichter sehen. Wie ich hinterher erfuhr, war einer der zuständige Pfarrer, der den anderen, einen Gast im Kloster der Dominikaner, gebeten hatte, ihm bei der Trauerfeier für eine wichtige Familie der Vorstadt zu helfen.
Der andere war Pater Corgoloin, der Burgunder, der vor Monaten Venedig zusammen mit Karim Abbas in Richtung Lombardei verlassen hatte. Ich blieb im Schatten des hohen Baums stehen und zog die Hutkrempe tiefer ins Gesicht; dann folgte ich ihnen. Ich konnte nicht hören, was sie unterwegs sagten. Die wenigen Fetzen, die ich aufschnappte, waren lateinisch. In der Nähe des Klosters verabschiedeten sie sich voneinander; Corgoloin ging nach links, zum Platz vor dem Rektorenpalast, der andere geradeaus, und seine letzten Worte lauteten: »Ave atque vale, Pater Larbo.«
Larbo? Vielleicht der französische Name Larbaud? Ich ging langsam hinter dem Burgunder her, bis der andere Priester weit genug entfernt war. Dann lief ich ein paar Schritte, holte Corgoloin ein, schob meinen Arm unter seinen und sagte: »Auf ein Wort, mon père – Larbaud oder Corgoloin oder wie auch immer.«
Er zuckte nicht zusammen, aber ich hörte, wie er nach Luft schnappte. »Was wollt Ihr von mir?«
»Ein Wort, wie gesagt, und vielleicht einen kühlen Trank, zu dem ich Euch aber einladen möchte.«
Er seufzte leise. »Wenn es denn sein muß ...«
Ich zog ihn am Arm zu einer Schänke, vor der ein paar Tische und Bänke standen. Ein Schankdiener, der eben Geschirr von einem der Tische entfernte, fragte nach unseren Wünschen.
»Eine kühle Erfrischung«, sagte ich, »die uns nicht den Kopf leicht und die Beine schwer macht.«
Wir ließen uns nieder und musterten einander schweigend, bis der Diener uns zwei Becher mit einem Gemisch aus Wein, Wasser, Kräutern und Saft gebracht hatte. Dann sagte ich: »Auf Euer Wohl, mon père. Und nun sagt mir, wie es kommt, daß Ihr als Corgoloin Venedig verlaßt und als Larbaud in Dubrovnik auftaucht.«
Er trank, sah mich an, sah dann in die Luft über meinem Kopf. »Manchmal ist es nötig und hilfreich, mehrere Namen zu haben.«
»Zweifellos. Ich frage mich nur, wozu es hier dienen mag. Mögt Ihr mich erhellen?«
Der Priester schien zu zögern; wahrscheinlich suchte er eine glaubwürdige Ausrede, und während er nachdachte, faßte er sich mit der rechten Hand ans linke Ohrläppchen. Dabei drehte er den Kopf ein wenig zur Seite.
Plötzlich wußte ich, wo ich ihn gesehen hatte. Die seltsame Gebärde ... So lange her, dachte ich, aber Gesten und Gerüche erschließen das Gedächtnis. Ich roch ihn nicht, hatte auch keine Erinnerung an Gerüche, wußte aber, daß ein Priester sich mehrmals mit der Rechten ans linke Ohrläppchen gefaßt hatte, als Kassem sich mit ihm unterhielt. Anfang 1524 in Paris, ehe wir – Kassem, Jorgo, Avram und ich – nach Flandern und ins Rheinland geritten waren, hatte Kassem irgendwo in der Nähe der Sorbonne mit diesem Priester geredet. Der damals natürlich jünger war und weder Corgoloin noch Larbaud hieß, sondern Durand. Und er hatte mit Kassem über Angelegenheiten des französischen Königs gesprochen, jedenfalls bis zu dem Moment, da Kassem uns andere fortschickte.
»Ehe Ihr mit der zweifellos beträchtlichen Geschmeidigkeit Eures Geistes Umwege und Ausreden erfindet«, sagte ich, »will ich
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