Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition)
Tischs, um seinem Finger und seinen Ausführungen besser folgen zu können.
Nicht weit südöstlich von Dubrovnik endet das Land der Republik Ragusa. Flache Küste, eine Bergkette, das Tal dahinter gehört schon zum Osmanischen Reich. Eine Straße durch die Berge endet an einer Bucht, die sich nach Osten, landeinwärts, weiter ausdehnt und an ein großes Dreieck erinnert; daneben ein zweites; an dessen Nordspitze führt ein schmaler Wasserarm zu einer weiteren ausgedehnten Bucht – zwei Dreiecke nebeneinander. Ungefähr jedenfalls.
»Zwei große Dreiecke«, sagte ich, »darüber zwei kleinere. Was wohl Euklid dazu gesagt hätte?«
Katona gluckste. »Er hätte es begeistert berechnet, nehme ich an. Also, die Straße vom oberen kleinen Dreieck nach Norden verbindet die türkische Festung Risan mit dem Hinterland. Und die Straße vorn, ehe die Bucht zum ersten großen Dreieck wird, ebenfalls nach Norden, ist die einzige wirklich gute. Wo sie die Bucht erreicht, liegt die Festung Herceg Novi – Castelnuovo, sagt ihr. Von da geht nach Norden, nach Trebinje, noch eine Straße in die Berge. Seit fünfzig Jahren ist Herceg Novi türkisch, wie die Küste der Bucht bis Risan. Die innere Bucht – die beiden kleinen Dreiecke oberhalb – und die Küste weiter südöstlich, das alles gehört euch, eh, den Venezianern. Am rechten der beiden kleinen Dreiecke« – er legte die Fingerspitze auf einen kleinen Punkt – »sitzt der Proweditore, in der Festung Kotor. Cattaro, für euch. Und in der Bucht gibt es ein paar venezianische Kriegsschiffe. Meistens jedenfalls.«
Ich hatte in Venedig bereits Karten der Gegend betrachtet, aber keine, die so reich an Einzelheiten war; ich bemühte mich, mir so viel wie möglich einzuprägen.
»Also, Castelnuovo ist für die Türken der einzige Hafen in dieser Gegend. Und?«
»Was würdest du tun, wenn du den Krieg an Land fortsetzen wolltest?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Die Bucht sperren?«
»Schwierig. Die Türken beherrschen das Meer.« Er lächelte boshaft. »Wie nicht nur die Herren der Serenissima zu ihrem Leid haben erfahren müssen.«
»Wollen die Spanier die Festung Castelnuovo belagern? Das ist ohne Unterstützung vom Meer aber sehr schwierig.«
»Gestern kam ein Bote«, sagte Katona. »Vor zwei Tagen hat auf Befehl des Kaisers das Regiment aus Neapel Herceg Novi eingenommen.«
Ich war einen Moment sprachlos. »El viejo tercio«, sagte ich dann leise. »Die Härtesten der Harten.«
»Die Besten der Besten, wie man sagt.« Katona rollte die Karten wieder zusammen. »Befehligt wird die Sache von Francisco Sarmiento.«
»Was soll das denn werden? Will der Kaiser wirklich den halben Balkan erobern?«
Katona blinzelte. »Vielleicht. Wahrscheinlich. Es wird ihm aber nicht gelingen.«
»Und wenn doch?«
»Dann müßte sich Dubrovnik sehr schwierigen Überlegungen hingeben.«
»Venedig auch.«
Er grinste. »Nein. Eure Überlegungen wären noch schwieriger.«
ZEHN
Ein alter Freund
D ies trug sich, wenn ich mich nicht irre, am 30. Oktober zu. Nun will ich zu meiner eigenen, gelegentlich ein wenig albernen Geschichte zurückkommen und zu der Zeit zwischen Anfang September und Ende Oktober.
Irgendwann in den frühen Septembertagen hörte ich, ein neuer Mann sei aus Konstantinopel zum Amselfeld geschickt worden, um in Priština die Dinge zu regeln, die Verwaltung zu ordnen, Vorräte anzulegen und – wie sich natürlich erst später ergab – den Gegenangriff auf Herceg Novi vorzubereiten. Man sagte, er heiße Kassem ben Abdullah, sei kein Türke, sondern Araber (Syrer, sagten die einen; andere behaupteten, er stamme aus den fernen Wüsten und habe Zähne aus Stahl – ich wußte, daß er ursprünglich aus der Gegend um Tunis kam), ein sehr alter, fähiger und überaus erfahrener Mann, nicht mehr gut zu Fuß, auch nicht mehr gut und gern im Sattel, aber von lichtem Geist und klarer Sprache.
Kassem in Priština, jenseits mehrerer Bergketten und weiter Täler, und er ordnete das Amselfeld neu, auf dem die Türken vor hundertfünfzig Jahren die Serben und vor achtzig Jahren die Ungarn besiegt hatten. Eine fruchtbare Hochebene, wie ich wußte, zu der mehrere Straßen führten, allesamt beschwerlich. Und unmöglich zu reisen, wenn man nicht die nötigen türkischen Freibriefe hatte.
Natürlich konnte ich statt der Straßen und Wege unwirtliches Gelände begehen – steile Berge, Karst, weitgehend unbewohnte Gegenden, in denen man mit niemandem reden, mit niemandem feilschen
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