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Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition)

Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition)

Titel: Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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uns gelassen und kamen zu einem Bach oder kleinen Fluß, über den eine Brücke führte, gerade breit genug für einen Karren. Hinter der Brücke bog der Weg nach Südwesten in einen Wald.
    Dort warteten drei Männer. Sie waren bewaffnet, trugen aber keinerlei Uniform oder Abzeichen.
    Der Offizier blieb am Nordende der Brücke stehen. »Geht«, sagte er. »Und möge Allah euch gnädig sein.«
    »Wenn du einen Kadi siehst«, sagte ich, »frag ihn, ob das, was hier geschieht, rechtens ist.«
    Ich erhielt keine Antwort, nur einen Stoß, mit dem einer unserer Wächter mich auf die Brücke beförderte; Antonio, ebenfalls gestoßen oder geschoben, stolperte neben mir her.
    Die Männer auf der anderen Seite packten uns an den Armen und zogen uns mit sich, den Weg entlang in den Wald. Nach kaum hundert Schritten zerrten sie uns links vom Weg in die Mündung eines schmalen Pfads, der zu einer Lichtung führte. Dort grasten vier Pferde, deren Vorderbeine locker zusammengebunden waren, und an einem Baum lehnte ein Mann. Er hatte die Arme verschränkt und schaute uns entgegen.
    »Karim Abbas!« sagte Antonio. »Bist du unter die Wegelagerer gegangen? Oder möchtest du meinen ferman sehen und hast keine andere Möglichkeit gefunden als diese?«
    Karim Abbas verzog keine Miene. Bisher hatte ich ihn immer dunkel – fast schwarz – gekleidet gesehen; heute trug er eine üppig verzierte dunkelrote Jacke und darunter ein rotes Hemd. Er stieß sich vom Baum ab, mit den Bewegungen des geschmeidigen Kämpfers, und zog die Jacke aus, die er achtlos zu Boden warf. Nun sah ich, daß am Baumstamm zwei Degen lehnten, die er bis jetzt mit dem Körper verdeckt hatte.
    »Venezianer«, sagte er mit dunkler, beinahe weicher Stimme. »Hast du deinen ferman dabei?«
    »Wenn ich mich bewegen könnte, würde ich ihn dir zeigen.«
    »Durchsucht ihn.«
    Einer der anderen Männer betastete Antonios Oberkörper, er fühlte offenbar das gefaltete Papier, zog es aus der Innentasche und reichte es Karim.
    Dieser entfaltete das Dokument, das seinem Träger freien Zugang zum Osmanischen Reich, Unverletzlichkeit sowie die Unterstützung durch alle Amtsträger verhieß.
    »Nett«, sagte er. »Sieht echt aus.« Er hob einen Mundwinkel zu einer Art Lächeln und zerriß den ferman . »Bindet den Venezianer los.«
    »Was soll das werden?« sagte Antonio. »Zuerst zerreißt du den ferman und dann läßt du mich frei? Was ist mit meinem Freund?«
    »Um den kümmere ich mich gleich. Zuerst wollen wir sehen, ob du so gut fechten wie reden kannst.« Er bückte sich, nahm einen Degen, warf ihn Antonio zu und zog den anderen aus der Scheide, die er am Baum stehen ließ.
    Antonio machte keinen Versuch, den geworfenen Degen aufzufangen; statt dessen bewegte er Arme und Hände, die nach der Fesselung sicher steif waren. Ich konnte meine Finger nicht spüren und nahm an, daß es ihm ähnlich ging. Zugleich begann ich, um Antonios Leben zu fürchten. Ich wußte, daß er mit dem Degen umgehen konnte, wie eben ein vornehmer junger Venezianer dies gelernt hat. Aber ich hatte gesehen, wie Karim Abbas einem Mann das Genick brach; ich sah seine Bewegungen, seine Augen. Und ich wußte, daß Antonio verloren war.
    »Wenn es dir um mich geht«, sagte ich, »dann binde mich los und gibt mir den Degen. Laß ihn gehen – er hat nichts mit dir zu schaffen. Auch nicht mit deinem Freund Mehmet.«
    »Freund?« Etwas wie eine halbe Gefühlsregung zeichnete sich flüchtig auf Karims Gesicht ab. »Ein Werkzeug. Nützlich, mehr nicht.«
    Gleichzeitig sagte Antonio: »Jakko, halt dich raus; das ist meine Angelegenheit.« Er rieb sich noch einmal die Hände; dann bückte er sich nach dem Degen, zog ihn, ließ die Scheide liegen und richtete sich auf.
    »Gut so«, sagte Karim. Er hieb zwei-, dreimal ins Leere, schien mit der Klinge und ihrer Biegsamkeit zufrieden und hob die Waffe zu einem Gruß. »Bereit?«
    »Bereit.«
    Ich weiß nicht, wie lange es dauerte, vielleicht den hundertsten Teil einer Stunde, vielleicht ein wenig mehr. Antonio focht mit Schneid und Anmut, aber bald blutete er aus einer Wunde im Oberarm. Dann zerschlitzte Karim ihm das Hemd vor der Brust, und der Stoff färbte sich auch dort rot. Als der entscheidende Stich ihn traf, wandte er mir eben den Rücken zu, und ich konnte nicht sehen, ob die Klinge in die Brust oder in den Bauch eindrang und auch nicht, wie tief.
    Antonio stieß einen dumpfen Laut aus, sackte in die Knie, drehte sich halb zu mir um, dann fiel er seitwärts

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