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Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition)

Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition)

Titel: Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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ins Gras.
    »Wir wollen doch keinen Zeugen mit ferman zurücklassen, nicht wahr?« sagte Karim Abbas. »Bindet den Mann los.« Er schien völlig ungerührt, atmete ebenso ruhig wie zuvor.
    Einer seiner Männer zerschnitt meine Fesseln. Ich hielt den Blick gesenkt, betrachtete Antonio, der reglos vor mir lag, fühlte Trauer um den Freund, fragte mich, ob ich dieses Ende irgendwie hätte verhindern können, fragte mich, wie wir in diese Lage geraten waren und was Karim Abbas eigentlich bewegte. Und während ich die Hände aneinanderrieb und ein erstes Kribbeln und Stechen in den Fingern spürte, schmeckte ich, was ich lange nicht mehr geschmeckt hatte und nie wieder schmecken wollte: Haß.
    »Bist du sicher«, sagte ich; dann mußte ich mich räuspern, weil ich an meinem Haß zu ersticken schien. »Bist du sicher, daß du dein schönes Gesicht aufs Spiel setzen willst?«
    Karim zuckte mit den Schultern. »Was kümmert dich mein Gesicht?«
    »In Venedig hörte ich, die Damen der Stadt seien ganz verrückt nach dem schönen Fremden. Ich hörte aber auch, sie schmachteten vergebens, da deine Neigungen sich eher auf bartlose Knaben richten.«
    Er bleckte einen Moment die Zähne. »Du willst mich mit deinen Lügen aus der Fassung bringen, aber das wird dir nicht gelingen. Nimm den Degen.«
    »Du hast einigen Vorsprung«, sagte ich, »was die Beweglichkeit der Gliedmaßen angeht. Während ich meine Finger knete, könntest du mir aber sagen, worum es hier eigentlich geht.«
    »Wozu? Nimm den Degen.«
    »Ich habe ein paar Feinde getötet, nach langer Jagd, und vor ihrem letzten Atemzug habe ich ihnen gesagt, warum sie sterben mußten.«
    »Vielleicht sage ich es dir vor deinem letzten Atemzug. Bist du endlich so weit?«
    Ich bückte mich nach dem Degen, hob ihn auf, prüfte Spitze und Schneide und bog ihn. Er war etwas starrer als die Waffen, an die ich gewöhnt war.
    »Heil dir, Karim Abbas.« Ich richtete den Degen zum Gruß auf; Karim erwiderte die Geste. »Dein Platz in der Dschehenna ist bereit.«
    Er lachte leise. »Was weißt du von der Unterwelt? Aber du wirst sie sehen.«
    Dann griff er an. Ich parierte, ließ mich zurückdrängen, spürte seine Kraft, seine Wucht und Erfahrung; und die noch immer nicht behobene Taubheit meiner Finger. Ich mußte mich bemühen, nicht zu denken, sondern Jakko dem Krieger Jakko den Spielmann zu überlassen.
    Karim traf mich an der Wange, vielleicht zwei Fingerbreit unter dem linken Auge. »Blut steht dir gut«, sagte er; nun atmete er ein wenig schneller. »Aber dein Gesicht ist ja zum Glück nicht so hübsch wie meines.«
    Noch immer beschränkte ich mich auf die Verteidigung. Ich hatte keine Schwächen, keine Mängel bei ihm gefunden. Blut rann mir vom Gesicht in den Kragen. Irgendwann würde es mich schwächen, aber noch ...
    Ich hätte nicht an Blut und Mängel denken sollen; es minderte meine Aufmerksamkeit, vielleicht nur für ein Zehntel der Zeit, die ein Lidschlag dauert. Den nächsten Stich konnte ich nicht mehr abwehren, nur noch ablenken; er drang mir nicht in die Brust, sondern in die linke Schulter. Er setzte sofort nach. Diesen Angriff fing ich auf, ließ meine Klinge an seiner entlangrutschen und wollte mit jenem Zucken des Handgelenks, das Jorgo mich einst gelehrt hatte, seinen Degenkorb überwinden, aber er kannte diesen Kniff. Immerhin sah ich etwas wie Achtung in seinen Augen flackern.
    Der linke Arm, den ich bei den meisten Bewegungen zum Ausgleichen meines Gewichts benötigte, wurde schwerer und schmerzte. Angriff folgte auf Angriff, und noch immer hatte ich keine Lücke bei Karim gefunden. Sein nächster Stich glitt von meiner Klinge ab und traf mich am Oberschenkel – nur ein Kratzer, aber ich sank aufs Knie. Er stach von oben nach mir; mit dem Degenkorb lenkte ich seine Waffe ab, in die Luft über meiner rechten Schulter, und streckte mich in einen Stich, der ihm die Innenseite des Degenarms aufschlitzte, die Achselhöhle durchbohrte und ihn taumeln ließ.
    Hinter mir hörte ich das Rascheln von Kleidern, ein Klirren – einer seiner Begleiter riß offenbar den Degen heraus, um sich auf mich zu stürzen. Ich kam wieder auf die Beine, drehte mich halb zur Seite, hörte Karim »Nicht, das ist ehrlos« rufen, sah die erhobene Klinge in der Hand des anderen, und dann bohrte sich ein Pfeil in seine Kehle. Der zweite der drei Männer riß ebenfalls die Waffe heraus; ein zweiter Pfeil blieb mit einem dumpfen Schlag in seinem Bauch stecken.
    »Schluß mit Unsinn!«

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