Das Labyrinth
deutsch und englisch.«
»Haben wir nie gesehen«, sagte Tatjana.
»Und Boris«, sagte Arkadi.
»Boris ist ein häufiger Name«, sagte Marina.
»Sein Familienname ist Benz oder so ähnlich.«
»Schöne Autos«, kicherte Tatjana.
»Wie würden Sie ihn beschreiben?« fragte Arkadi Tommy.
»Groß, gutaussehend, freundlich.«
»Spricht er russisch?« fragte Tatjana.
»Ich weiß es nicht. Mit mir hat er nur deutsch gesprochen«, sagte Tommy.
Benz war ein so nebelhaftes Wesen, nichts als ein Name auf einem Aktenformular in Moskau und einem Brief in München, daß Arkadi sich bereits erleichtert fühlte, jemanden getroffen zu haben, der den Mann in Fleisch und Blut vor sich gesehen hatte.
»Warum sollte er russisch sprechen?« fragte Arkadi.
»Der Boris, an den ich denke, ist sehr international«, sagte Marina. »Ich meine, sein Russisch ist sehr gut.«
»Er ist Deutscher«, sagte Tatjana.
»Du bist doch gar nicht mit ihm im Bett gewesen.«
»Du auch nicht.«
»Aber Tima. Sie hat mit mir drüber gesprochen.«
»Sie hat mit ihr drüber gesprochen.« Tatjana nahm einen affektierten Ton an. »Sie ist meine Freundin.«
»Diese Kuh. Tut mir leid«, fügte Tatjana hinzu, als sie sah, daß Marina verletzt war. Dann wandte sie sich wieder an Arkadi: »Dieser Kerl ist ein Arschloch, das kann ich dir sagen.«
»Ist Tima hier?«
»Nein. Aber ich kann sie dir beschreiben«, sagte Tatjana.
»Rot, läuft mit Vierradantrieb und hört auf den Namen >Bronco<.«
»Ich weiß, was sie meint«, sagte Tommy, der froh war, sich wieder ins Gespräch mischen zu können. »Gleich unten an der Straße. Ich zeig es Ihnen.«
»Ich wünschte, du hättest Geld«, sagte Tatjana zu Arkadi. Unter den gegebenen Umständen, dachte er, war das das größte Kompliment, das er erwarten konnte.
Ein Dutzend Jeeps, Troopers, Pathfinders und Land-Cruisers standen auf einem offenen Platz neben der Hauptstraße, hinter dem Steuerrad eines jeden Wagens eine Prostituierte. Freier parkten neben ihnen, um mit ihnen zu verhandeln. Sobald der Preis ausgemacht war, drehte die Frau das rote Licht aus, das ihre Verfügbarkeit angezeigt hatte, der Freier stieg zu ihr, und sie fuhren ans andere Ende des Platzes, fort von den vorbeistreichenden Scheinwerfern auf der Straße. Zwanzig abgestellte Fahrzeuge standen dort bereits am Rande eines schwarzen Feldes. Tommy und Arkadi gingen an den erleuchteten Wagen vorbei und dann weiter zur Mitte des Platzes. Sie traten zur Seite, als ein Trooper an ihnen vorbeiglitt. Tommy wurde immer aufgeregter. »Die Mädchen hier haben früher in Wohnwagen in der Stadt gearbeitet, bis die Anwohner sich über den nächtlichen Lärm beschwerten. Hier ist es abgeschiedener. Sie sind gesund, sie werden jeden Monat von Ärzten untersucht.«
Die Rückfenster der am Feldrand abgestellten Wagen waren alle mit Vorhängen versehen. Ein Jeep schaukelte hin und her, als liefe er auf der Stelle.
»Wie sieht ein Bronco aus?« fragte Arkadi.
Tommy wies auf eins der größeren Modelle, aber der Wagen war blau. Sie alle hatten genügend Bodenfreiheit, um sich auf eine Fahrt durch die Tundra zu begeben. »Was halten Sie davon?« fragte Tommy. »Sehen alle gut aus.«
»Ich meine die Frauen.«
Arkadi merkte, daß Tommy etwas anderes im Sinn hatte.
»Tommy, was meinen Sie wirklich?«
»Ich meine, ich könnte Ihnen etwas Geld leihen.«
»Nein, danke.«
Tommy trat von einem Fuß auf den anderen, dann reichte er Arkadi seine Wagenschlüssel. »Haben Sie was dagegen?«
»Das ist doch nicht Ihr Ernst?« fragte Arkadi. »Da wir schon mal hier sind, können wir uns auch ein bißchen amüsieren.« Tommy sprach stoßweise, sammelteMut.
»Mein Gott, es dauert ja nur ein paar Minuten.«
Arkadi war verblüfft und kam sich deswegen gleich ziemlich dumm vor. Was ging ihn das an? »Ich warte im Wagen.«
Der Trabi parkte auf der anderen Straßenseite. Er setzte sich hinein und sah, wie Tommy auf einen Jeep zueilte, offensichtlich sofort handelseinig wurde und einstieg. Der Jeep setzte zurück und verschwand in der Dunkelheit.
Arkadi zündete sich eine Zigarette an und fand einen Aschenbecher, aber kein Radio. Ein wahrhaft sozialistischer Wagen, ausgestattet, um schlechten Gewohnheiten zu frönen und die Unwissenheit zu pflegen, und er war der ideale Fahrer.
Scheinwerfer strichen über die Straße und kreuzten sich in zufälligen Schnittpunkten. Vielleicht gab es in Deutschland ja nur deswegen so wenig Verbrechen, weil man sie anders
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