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Das Labyrinth

Das Labyrinth

Titel: Das Labyrinth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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    Nachdem Max die Rechnung bezahlt und ihn verlassen hatte, ging Arkadi allein zum Brandenburger Tor, wo die Siegesgöttin ihr Tagesgewand aus Grünspan trug. Schwalben umkreisten sie und haschten nach Insekten. Er mischte sich unter die Touristen auf der Wiese. Obwohl seine Schuhe und die Hose unten feucht wurden, strahlte der Boden eine sommerliche Wärme aus. Weiße Blütenquasten erhoben sich aus dem Gras, Ameisen suchten auf winzigen Pfaden Schutz vor den Schritten der Gehenden. Bienen summten zwischen Kleeblüten. Über einen Fahrradweg huschte eine langgezogene Reihe von Radfahrern mit Helmen und hautengen Trikots. Wußten sie, daß sie in Max’ neues Berlin eingedrungen waren?
    Da er Zeit hatte, ging Arkadi über den Ku’damm zum Bahnhof Zoo. Er hatte das Gefühl, in ein Heer von OstBerlinern geraten zu sein, das zwar in klarer Ordnung einmarschiert war, sich aber bei den ersten auf dem Bürgersteig zum Verkauf angebotenen Joggingschuhen bereits aufgelöst hatte. Die Westler hatten sich hinter die Balustraden von Cafés zurückgezogen, aber selbst hier wurden sie von Zigeunern mit Tamburinen und Babys verfolgt. Zwei Russen schoben einen Ständer mit Uniformen über die Straße. Arkadi sah sich eine Auswahl von Mauerstücken an, mit Dokumenten, die ihre Echtheit bezeugten. An einem anderen Tisch fand er den Autopiloten und Höhenmesser eines Hubschraubers der Roten Armee. Er dachte daran, den Ku’damm auf- und abzugehen, um die restlichen Teile des Hubschraubers zu suchen. Genau um zwölf traf er schließlich am Bahnhof Zoo ein und rief Peters Nummer an. Diesmal meldete sich niemand.
    Ein Zug war gerade angekommen und entließ ein weiteres Regiment von Ostlern, die über die Treppen auf die Straße strömten. Unentschlossen ließ Arkadi sich mit der Menge zur Gedächtniskirche treiben, die grau und verwittert wie ein vom Blitz getroffener Baum vor ihm aufragte. Auf den Stufen hatten sich rucksacktragende Jugendliche breitgemacht, die einem Straßenzauberer zuschauten. Ein japanischer Touristenbus feuerte eine Breitseite Schnappschüsse ab.
    Das alte Berlin war zweigeteilt gewesen und im wesentlichen von Russen und Amerikanern beherrscht worden. Jetzt sah er kaum einen amerikanischen Touristen. Vielleicht könnte er als Statue hierbleiben, dachte er: »Der Letzte Russe« - in der Pose eines Hausierers, der Anstecknadeln von Lenin verkaufte.
    Arkadi kehrte über die freie Fläche vor dem Brandenburger Tor zurück, als er vier Abschnitte der Mauer sah, die wie Grabsteine stehengeblieben waren. Also hatte Max unrecht, dachte er. Nicht jeder wollte die Mauer aus dem Gedächtnis ausradieren, um sich übergangslos seiner Registrierkasse zuzuwenden. Jemand mußte es für passend gehalten haben, wenigstens Teile von ihr als Mahnmal zu erhalten.
    Neben den Mauerabschnitten stand ein hoher Baukran mit doppeltem Ausleger. In ungefähr siebzig Meter Höhe war am oberen Ausleger eine kleine Plattform mit niedriger Brüstung angebracht. Vor dem Himmel zeichnete sich die Gestalt eines Mannes ab, der über die Brüstung kletterte und in die Tiefe sprang. Mit ausgebreiteten Armen und Beinen flog er durch die Luft und verschwand hinter den Mauerabschnitten.
    Als Arkadi sich den Abschnitten näherte, sah er, daß jeder etwa vier Meter im Quadrat maß und bunt mit Friedenssymbolen, Christusköpfen, gnostischen Augen und Gitterstäben bemalt war, um die herum Namen und Botschaften in verschiedenen Sprachen zu lesen waren. Hinter den Betonquadern standen Tische auf dem Kiesboden, an denen Leute saßen. Ein Schild trug die Aufschrift »Springer-Cafe«.
    Ein Lieferwagen bot Sandwiches, Zigaretten, Mineralwasser und Bier an. Die Gäste waren Motorradfahrer, einige ältere Paare mit Hunden, deren Leinen an den Stühlen festgebunden waren, zwei Geschäftsleute mit dunklerer Hautfarbe - vielleicht Türken - und ein Kreis von Teenagern, deren Nietenjacken in der Sonne funkelten.
    Der Springer, ein junger Mann in einem Pullunder und Drillichhosen, schwebte mit dem Kopf nach unten ein paar Meter über der Erde. Arkadi sah, daß er an einem elastischen Seil hing, das von seinen Fußgelenken bis zur Spitze des Krans reichte. Der Ausleger senkte sich, um ihn, mit den Händen zuerst, zu Boden zu lassen. Er löste das Seil und stand benommen auf, während die Motorradfahrer applaudierten und seine Freunde ihm johlend zujubelten.
    Arkadi interessierte sich für die beiden Geschäftsleute. Sie trugen gutgeschnittene Anzüge, aber der

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