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Das Labyrinth

Das Labyrinth

Titel: Das Labyrinth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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Tisch vor ihnen war beladen mit Unmengen von Bierflaschen. Beide waren korpulent, und sie saßen vorgebeugt, die Köpfe zusammengesteckt. Auch wenn er ihre Gesichter nicht erkennen konnte, sah Arkadi doch, daß einer von ihnen bemerkenswert häßliche Haare hatte, lang im Nacken und kurz an den Seiten, mit einer orangeroten Strähne am Scheitel. Obwohl sie nicht geklatscht hatten, beobachteten sie das Geschehen mit gespannter Aufmerksamkeit.
    Ein zweiter Mann stand noch auf der Plattform hoch über den Tischen. Er holte das Seil ein und hockte sich nieder. Einen Augenblick später trat er an den Rand der Plattform, wobei er sich mit einer Hand an einem Kabel festhielt. Ein Schnauzer jaulte, und sein Besitzer stopfte ihm ein Stück Wurst zwischen die Zähne. Die Gestalt auf der Plattform schien sich einen Platz zum Landen auszusuchen.
    »Dwai!« rief der Mann mit den häßlichen Haaren ungeduldig. »Nun mach schon!« - wie Fischer rufen, wenn jemand das Netz zu langsam einholt.
    Der Mann sprang. Er fiel mit wie Windmühlen ausgestreckten Armen und Beinen. Diesmal sah Arkadi das hinter ihm schlackernde Seil. Er nahm an, daß das Gewicht des Springers, die Entfernung zum Boden und die Elastizität des Seils sorgfältig berechnet worden waren. Das Gesicht des Fallenden war weiß, der Mund weit geöffnet. Arkadi hatte noch nie einen so angstverzerrten Ausdruck im Gesicht eines Menschen gesehen. Er hörte ein deutliches Schnappen, als das Seil sich spannte, dann wurde der Springer ein Viertel der zurückgelegten Strecke wieder hochgeschnellt, ehe er erneut nach unten stürzte, langsamer, taumelnder. Jetzt war sein Gesicht rot, und das Oval seines Mundes nahm wieder menschliche Form an. Zwei Mädchen in Lederjacken liefen auf ihn zu und halfen ihm, festen Boden unter die Füße zu bekommen. Alle anderen klatschten Beifall, bis auf die beiden Geschäftsleute, die so laut lachten, daß sie husten mußten. Der Mann mit den Haaren lehnte sich zurück, um wieder zu Atem zu kommen. Es war Ali Chasbulatow.
    Arkadi hatte Ali zuletzt mit seinem Großvater Mahmud am Südhafen-Markt in Moskau gesehen. Ali schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, als wollte er das Geräusch eines auf dem Boden aufprallenden Körpers nachahmen, und begann erneut, dröhnend zu lachen. Eine der leeren Flaschen rollte vom Tisch, aber er machte sich nicht die Mühe, sie aufzuheben. Der andere Mann am Tisch war ebenfalls ein Tschetschene, älter als Ali, mit buschigen Augenbrauen. Die jungen Leute in den Lederjacken fanden das Lachen unangebracht, machten jedoch - nach einem vorsichtigen Blick auf die beiden Männer - keine Bemerkung. Ali breitete seine Arme wie Flügel aus, bewegte sie flatternd und ließ sie dann fallen. Wehrte den Beifall seines Gefährten ab. Hob sein Glas und zündete sich, zufrieden mit seiner Vorstellung, eine Zigarette an.
    Niemand wollte mehr springen. Nach fünfzehn Minuten standen Ali und der andere Tschetschene auf und gingen zum Potsdamer Platz, wo sie in ein schwarzes VW-Kabriolett stiegen und wegfuhren. Arkadi konnte ihnen zu Fuß nicht folgen, aber er kehrte mit geschärftem Blick in die Innenstadt zurück.
    Unterwegs sah er zwei Tschetschenen, die am Kotflügel eines Alfa Romeo lehnten! Unten am Ku’damm saßen vor dem großen Glasrechteck des Europa Centers vier Ljubertsi-Mafiosi dicht gedrängt in einem Golf. In einem der eleganten Restaurants in der Fasanenstraße sah Arkadi durchs Fenster kleine, schwarzhaarige Tschetschenen, die an einem Tisch in einer Nische Platz genommen hatten. Einen Häuserblock weiter patrouillierten Mafiosi des Langen Teichs auf und ab.
    Arkadi ging wieder zum Bahnhof Zoo. Die TransKom oder Boris Benz standen weder im Telefonbuch, noch waren sie bei der Auskunft bekannt. Er fand aber eine Nummer für Margarita Benz. Arkadi rief an.
    Nach dem fünften Läuten meldete sich Irina. »Hallo?«
    »Hier ist Arkadi.«
    »Wie geht’s dir?«
    »Gut. Tut mir leid, wenn ich dich störe.«
    »Nein. Ich freue mich, daß du anrufst«, sagte Irina.
    »Ich wollte nur wissen, wann diese Veranstaltung heute abend stattfindet. Und wie offiziell sie ist.«
    »Um sieben. Du kommst mit Max und mir. Und was das Offizielle betrifft, mach es wie die sogenannten Intellektuellen. Komm in Schwarz. Sie sehen alle wie Witwen aus. Arkadi, ist alles in Ordnung? Oder bringt dich Berlin durcheinander?«
    »Nein, es wird mir immer vertrauter.«
     
    Margarita Benz’ Adresse, der Savignyplatz, lag nur drei Straßen entfernt.

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