Das Labyrinth
weißen Mercedes und einen Mann, der mit einem Fußball spielte. Er trug einen Kamelhaarmantel, dessen Gürtel lässig wie der eines Morgenmantels zusammengebunden war. Er balancierte den Ball auf der Stirn, ließ ihn auf die Knie fallen, dann auf den Rist, nahm ihn mit dem anderen Fuß neu auf und kickte ihn wieder hoch. Ein professioneller Fußballspieler wie Borja Gubenko nahm jede sich ihm bietende Gelegenheit wahr, sich in Form zu halten. Er ließ den Ball von Knie zu Knie hüpfen.
»Renko!« Er gab Arkadi ein Zeichen heranzukommen, wobei er den Ball in ständiger Bewegung hielt.
Als Arkadi sich ihm näherte, schoß Borja den Ball in die Luft. Die Arme ausgestreckt wie ein Seiltänzer, fing er ihn mit dem Fuß wieder auf, rollte ihn auf den Spann und schnippte ihn hoch, um ihn erneut geschickt auf dem Kopf auf und ab hüpfen zu lassen. »Ich habe in Moskau nicht nur Golfbälle geschlagen«, sagte er. »Was meinen Sie? Glauben Sie, daß ich noch gut genug bin, um wieder im Tor zu stehen?«
»Warum nicht?«
Als Arkadi nahe genug stand, trat Borja einen Schritt zurück, ließ den Ball fallen und schoß. Der Ball traf Arkadis Magen. Arkadi fiel zu Boden. Er hörte, wie die Vase zerbrach. Seine Beine suchten Halt, doch selbst im Liegen konnte er sein Gleichgewicht nicht wiederfinden. Es erschien ihm unmöglich, je wieder Luft holen zu können. Seine Sicht engte sich ein, und er sah schwarze Punkte in der Luft.
Borja kniete sich neben ihn und drückte ihm den Lauf einer Schußwaffe gegen das Ohr. Eine italienische Pistole, dachte Arkadi. »Das war ich Ihnen schon lange schuldig«, sagte Borja.
Die Pistole war nicht nötig. Er stand auf, öffnete die Beifahrertür des Mercedes, packte Arkadi am Kragen und am Gürtel - wie einen Betrunkenen, der bei einem Fußballspiel aus dem Stadion expediert wird - und warf ihn auf den Vordersitz. Er verstaute den Ball im Fond und setzte sich hinter das Lenkrad. Die Beschleunigung des Wagens ließ Arkadis Tür ins Schloß fallen.
»Wenn es nach mir ginge«, sagte Borja, »wären Sie bereits tot. Sie hätten Moskau nie verlassen. Wenn man uns erwischt hätte, wie wir Sie umgebracht hätten? Dann hätten wir eben ein Schweigegeld gezahlt, und das wär’s gewesen. Ich glaube, Max hat einen selbstzerstörerischen Zug an sich.«
Arkadi atmete flach. Es war so lange her, seit man ihn das letzte Mal zusammengeschlagen hatte, daß er das Gefühl völliger Hilflosigkeit fast vergessen hatte. Die Blumen und die Vase waren hin, und sein Magen schien sich immer noch nach innen zu wölben. Er registrierte, daß Borja an der Spree entlang fuhr, mehr oder weniger in Richtung der untergehenden Sonne. Borja fuhr mit einer Geschwindigkeit, die Arkadi nicht erlaubte, aus dem Wagen zu springen. Aber wenn er gewollt hätte, hätte Borja ihn längst schon töten können. Außerdem war Arkadi zu dem Schluß gelangt, daß er im Wagen mehr in Erfahrung bringen würde als irgendwo sonst.
Borja sagte: »Manchmal komplizieren kluge Leute die einfachsten Dinge. Große Pläne, aber mit allem anderen hapert es. Was ist das klassische Beispiel? In diesem Stück?«
»Hamlet«, sagte Arkadi.
»Hamlet, genau. Es genügt nicht, den Ball immer nur zu bewundern, man muß auch schon mal hinter ihn treten.«
»Wie Sie hinter den Trabi in München getreten haben?«
»Das hätte unser Problem lösen können. Hätte es eigentlich sollen. Als Rita mir sagte, daß Sie noch lebten und Max Sie hergebracht hätte, konnte ich es einfach nicht glauben. Was geht vor zwischen Ihnen und Max?«
»Ich glaube, er möchte beweisen, daß er der bessere Mann ist.«
»Nichts für ungut, Renko, aber Max hat alles, und Sie haben nichts.« Borja lächelte. »Im Westen ist das der Wertmaßstab. Er ist der bessere Mann.«
»Wer ist der bessere Mann: Borja Gubenko oder Boris Benz?«
Borjas Lächeln verbreiterte sich zum Grinsen eines Jungen, den man beim Stehlen von Süßigkeiten erwischt hat. Er zog eine Packung Marlboro aus der Tasche und bot Arkadi eine an. »Wie Max sagt: Wir brauchen neue Männer für neue Aufgaben.«
»Sie brauchten einen ausländischen Partner für das Jointventure, und es war einfacher, einen zu schaffen, als einen zu finden.«
Borja strich mit den Fingern über das Lenkrad. »Ich mag den Namen Benz. Klingt vertrauenerweckender als Gubenko. Benz ist ein Mann, mit dem man Geschäfte machen will. Wie haben Sie’s rausgefunden?«
»Ganz einfach. Sie waren Rudis Partner, aber auf dem Papier war es
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